Wie kann Weiterbildung von der Digitalisierung profitieren? Welche Methoden helfen, um einer Zielgruppe attraktive Angebote zu präsentieren? Gianna Scharnberg vom Learning Lab der Universität Duisburg-Essen spricht über Chancen und Entwicklungen.
Frau Scharnberg, was müssen Weiterbildungseinrichtungen leisten, um digital gut aufgestellt zu sein?
Diese Frage kann man nicht pauschal beantworten. Das hängt davon ab, in welchem Bereich die Einrichtung tätig ist, welche Themen sie behandelt, welche Zielgruppe sie hat oder wie der aktuelle Stand in Sachen Digitalisierung ist, was zum Beispiel die Ausstattung betrifft. Es gibt keinen technischen Standard, den wir über alle legen können. Was eine Einrichtung leisten muss und was für alle gilt ist, dass sie sich stark an der Zielgruppe orientieren sollte: Wen erreichen wir bereits und wen wollen wir in Zukunft erreichen? Im nächsten Schritt überlegt man sich, welche Medien man dafür nutzen will.
Wichtig ist, dass eine Einrichtung nicht vergisst, wofür sie inhaltlich steht, worauf sie stolz ist und was ihr wichtig ist. Dann kann man sich überlegen, wie man diesen Kern mit digitalen Mitteln schärfen und nach außen bringen kann. Digitalisierung bedeutet nicht, austauschbar zu werden. Wandel bedeutet nicht, alles umzukrempeln.

Mit welchen aktuellen Trends aus der digitalen Weiterbildung ist man heutzutage vorne dabei?
Technisch gesehen sind die Themen Virtual und Augmented Reality sehr spannend. Die Technik wird sich in den nächsten Jahren noch weiterentwickeln. Bereits heute kann man gerade in der Aus- und Weiterbildung viel Potenzial nutzen. Es ist möglich, damit schwierige Prozesse zu trainieren. Angewendet wird das schon unter anderem in der Medizin oder im Handwerk. Dort, wo komplexe, riskante oder kostspielige Prozesse trainiert werden sollen, können VR-Simulationen zum Lernerfolg beitragen.
In der Methodik bin ich vom Online Coaching fasziniert. In der Weiterbildung bedeutet das, anstelle von Tagesveranstaltungen oder in Ergänzung dazu werden knappe Coaching Sessions in kurzen Zeitintervallen angeboten. Weiterbildungsmaßnahmen können so kontinuierlich und direkt am Arbeitsplatz oder im Alltag begleitet werden. Die enge Taktung und das intensive Arbeiten erhöhen ebenfalls den Lernerfolg.
Welche didaktischen Methoden halten Sie noch für sinnvoll?
In der Erwachsenenbildung sind digitale Angebote zum Austausch und zur Kollaboration heute sehr wichtig. Diese Angebote müssen nicht technisch ausgefallen sein, aber sie müssen funktionieren und Mehrwert bieten. In der Pädagogik spricht man gerne von Möglichkeitsräumen. Meiner Meinung nach müssen digitale Angebote aber nicht nur Möglichkeiten bieten, sondern attraktiv sein. Es geht darum, Impulse zu setzen und Anreize zu geben – zum Beispiel durch spannende Fragen, interessante Anregungen oder die direkte Kontaktaufnahme. So kann ein Austausch gelingen. Sonst bleibt das Forum leer, die Motivation sinkt und die Teilnehmenden finden andere Wege oder springen ganz ab.
Bedeutet weniger Präsenzpflicht in Seminaren, dass man Zeit und Energie spart?
Gerade für Menschen, die nicht in Ballungsräumen wohnen oder nicht sehr mobil sind, ist räumliche und zeitliche Flexibilität wichtig. Außerdem erweitert eine Einrichtung mit digitalen Angeboten ihre Zielgruppe, denn sie kann sich einem viel größeren Kreis zugänglich machen.
ZUR PERSON
Gianna Scharnberg ist am Learning Lab der Universität Duisburg-Essen tätig. Sie leitet dort unter anderem die AG Erwachsenenbildung, in der sie sich mit Potenzialen der Digitalisierung in diesem Bereich beschäftigt.
Wie müssen digitale Angebote in der Weiterbildung konzipiert sein?
Für die Konzeption gelten die gleichen Qualitätskriterien wie bei Präsenzangeboten. Aber dadurch, dass digitale Angebote nicht dem eingeübten Kursmuster entsprechen, müssen sie die Rahmenbedingungen klar kommunizieren: Ziele, Inhalte, Struktur und Lernerfolg sollten deutlich werden.
Zuerst sollte man sich die Ziele des Kurses anschauen. Das klingt jetzt erst einmal profan, ist aber total wichtig. Nur wenn ich weiß, was ich als Dozent*in erreichen möchte, kann ich das methodisch sinnvoll unterstützen. Dann stellt sich die Frage, welche Ziele und Erwartungen die Teilnehmenden haben: was möchten die Teilnehmenden mit dem Kurs erreichen? In diesen Momenten entsteht meist schon die Diskussion, wie weit Lehr- und Lernziel auseinandergehen.
Erst danach entwickelt man die Struktur des Angebotes: Muss es eine Präsenzveranstaltung sein? Gibt es Inhalte die alleine erarbeitet werden? Müssen die Teilnehmenden zwischen den Terminen aktiviert werden? Welchen Stellenwert haben Wissensaufbau, Anwendung und Austausch? Hinter allem steckt die Frage: Welchen konkreten Mehrwert hat die Zielgruppe, wenn man digitale Medien einsetzt?
Diese Mehrwerte herauszustellen schafft Sicherheit in der Auswahl der digitalen Werkzeuge und in der Konzeption.
Digitalisierung ist kein Einzelvorhaben. Es geht nur, indem wir uns vernetzen.“
Können sich Einrichtungen zusammenschließen, um Kosten zu sparen?
Wenn man langfristig denkt und wirklich etwas etablieren möchte, würde ich sagen, das ist das einzig wahre Modell. Digitalisierung ist kein Einzelvorhaben. Es geht nur, indem wir uns vernetzen. Sonst zahlen alle nur drauf. Wer sich in Netzwerken zusammen tut, gemeinsame Infrastrukturen nutzt und (weiter-)entwickelt, kann erfolgreich sein.
Wie sieht Weiterbildung im Jahr 2030 aus?
Prognosen finde ich schwierig. Ich sehe aktuell zwei Tendenzen: Auf der einen Seite findet fast schon eine Verweigerung der Digitalisierung vonseiten einzelner Träger statt. Sie setzen sehr stark auf Präsenz in ihren Angeboten und scheinen insgeheim zu hoffen, dass die Digitalisierung mit der nächsten Generation automatisch in die Weiterbildung kommt oder wieder vorbeigeht. Auf der anderen Seite steht ein privatwirtschaftlich dominierter Weiterbildungsmarkt, der sich schnell weiterentwickelt. Dieser Markt setzt stark auf technische Lösungen.
Ich gehe dennoch optimistisch davon aus, dass in den nächsten zehn Jahren neue Lernumgebungen entwickelt werden: niedrigschwellig, gebrauchstauglich und ästhetisch ansprechend. Diese Lernumgebungen lassen sich dynamisch von den Lernenden zusammenstellen und auf ihre Lerngewohnheiten anpassen. Kursleitende arbeiten mit den Teilnehmenden zusammen, indem sie Lernprozesse unterstützen. Sie coachen, moderieren, kuratieren und geben neue Impulse.
Artikelfoto: Noreefly_Fotolia
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