Die internationale Klassifikation ICF-CY gewinnt zunehmend an Bedeutung in Kitas. Warum und wie sollten Einrichtungen dieses Instrument nutzen? Mechthild Thamm, Fachgruppenleiterin Kinder und Familie vom Paritätischen NRW, erläutert in unserem Interview die vielen Vorteile.
Was ist die ICF-CY?
Die ICF-CY (International Classification of Functioning, Disability and Health – Children and Youth Version) ist eine WHO-Klassifikation um die Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen zu erfassen. Sie berücksichtigt die spezifischen Entwicklungsbedürfnisse dieser Altersgruppe. Die ICF-CY bietet eine einheitliche Sprache, um Gesundheitszustände und deren Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit zu beschreiben. Sie wird genutzt, um Teilhabe zu fördern.
Die Paritätische Akademie NRW bietet für Kindertageseinrichtungen Seminare zum Thema ICF an. Speziell Inhouse-Seminare können für Einrichtungen und Träger interessant sein.
Frau Thamm, was ist die aktuelle rechtliche Lage zur ICF-CY?
Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen sind derzeit nicht verpflichtet, die ICF-CY anzuwenden. Es kann aber sein, dass die ICF-CY in Zukunft auch für Kitas verpflichtend wird. Die Landschaftsverbände empfehlen schon jetzt, sie zu nutzen. Der gesetzliche Auftrag zur Inklusion ist im Kinderbildungsgesetz (KiBiz NRW) verankert. Der Landesrahmenvertrag, der das Bundesteilhabegesetz umsetzt, beschreibt, wie dies erfolgen kann (SGB IX, § 131). Landschaftsverbände fungieren als Leistungsträger. Die freie sowie öffentliche Wohlfahrtspflege fungieren durch ihre Mitglieder bzw. Träger/Kindertageseinrichtungen als Leistungserbringer. Die Einrichtungen müssen gemäß dem Landesrahmenvertrag Förder- und Teilhabepläne erstellen, und sie können die ICF-CY als wertvolles Instrument nutzen, um den Teilhabebedarf zu erfassen.
Wieso sollten Kitas schnell die ICF-CY umsetzen?
Die ICF-CY in der Kita anzuwenden, ermöglicht es, den Teilhabebedarf der Kinder professionell zu erfassen und zu evaluieren. Dadurch wird die Einrichtung weiter professionalisiert, weil ein standardisiertes, überprüfbares Verfahren eingeführt wird. Es erleichtert den Fachkräften, bei Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsprüfungen der Kostenträger nachzuweisen, dass sie die Vorgaben für Inklusion umsetzen, ihre Qualität hochhalten und sich kontinuierlich weiterentwickeln.
Wie hilft die ICF-CY Fachkräften im Kita-Alltag?
Die ICF-CY erleichtert den Alltag erheblich, sobald man sich mit ihr vertraut gemacht hat. Mit der Zeit entwickelt man eine Routine, die es beschleunigt, Förder- und Teilhabeplänen zu erstellen. Ein großer Vorteil ist, dass sich Fachkräfte unterschiedlicher Qualifikationen, wie Ergotherapeut*innen, Physiotherapeut*innen und Erzieher*innen, auf der Basis eines gemeinsamen Teilhabeverständnisses austauschen können. In der ICF-CY werden Kürzel angewendet, die auf der medizinischen Diagnostik ICD10 basieren und Funktionsstörungen beschreiben – alle wissen dann sofort, was gemeint ist. Auch Eltern können in den Prozess einbezogen werden und den Teilhabebedarf mitbestimmen.
Wie profitieren die Kinder von der ICF-CY?
Die ICF-CY sieht vor, dass auch Kinder in die Teilhabeplanung einbezogen werden, sofern sie entwicklungsbedingt dazu in der Lage sind. So werden die Kinderrechte in puncto Partizipation gewahrt, und ihre individuellen Bedürfnisse werden berücksichtigt. Beispielsweise kann es vorkommen, dass ein Physiotherapeut feststellt, dass ein Kind Treppen steigen üben kann, während das Kind selbst äußert, dass ihm das Spielen in der Turnhalle stattdessen wichtiger ist. Die Therapie kann somit bedarfsgerecht angepasst werden. Selbstbestimmung und Teilhabe orientieren sich am Entwicklungsstand des Kindes.
Wieso sind Inhouse-Fortbildungen zur ICF-CY sinnvoll?
Inhouse-Fortbildungen sind immer sinnvoll für Einrichtungen, da sie das gleichzeitig geteilte Wissen im Gedächtnis der Teilnehmenden verankern. Eigene Praxisbeispiele aus der Kita können direkt eingebracht und diskutiert werden, wodurch geteilte Synergien besser genutzt werden. Wissen wird nicht per „stille Post“ geteilt und geht verloren. So profitieren alle Beteiligten und die Umsetzung in der Praxis wird erleichtert.
Artikelfoto: Canva
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