Menschen, die diskriminiert werden, muss geholfen werden. Dafür arbeitet seit mehr als 20 Jahren das Anti-Rassismus Informations-Centrum ARIC-NRW in Duisburg. Die Menschenrechte stehen im Zentrum des Alltags der Mitarbeitenden, die Opfer beraten und Schulungen anbieten.
In der Nacht vom 28. auf den 29. Mai 1993 starben fünf Menschen türkischer Abstammung beim Brandanschlag in Solingen. Es war der letzte mehrerer schwerer Anschläge mit rechtsextremem Hintergrund Anfang der 90er Jahre. Als direkte Reaktion darauf gründete sich in Duisburg der Verein ARIC-NRW e.V., kurz für Anti-Rassismus Informations-Centrum. Schon damals sagten die Gründer*innen des Vereins, dass der Anschlag keine Amok-Reaktion von Einzeltätern gewesen sei, sondern das Ergebnis eines strukturell verankerten Rassismus in der Gesellschaft, gegen den man vorgehen müsse. Sich entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung zu wehren ist auch heute noch Ziel und Anliegen des Vereins – und erscheint wichtiger denn je.
Um die Gleichstellung und Teilhabe von allen Menschen zu erreichen, vernetzt sich der Verein mit anderen Gruppen, leistet politische Menschenrechtsarbeit, gibt Informations- und Bildungsangebote sowie individuelle Beratung für Menschen, die Erfahrung mit Rassismus gemacht haben. Die Zielgruppe von ARIC-NRW ist entsprechend groß. Beraten werden nicht nur die Betroffenen selbst. Trainings in allen gesellschaftlichen Bereichen zielen auch auf Fachkräfte in der Sozialen Arbeit, Ehrenamtliche oder Privatpersonen ab.
Der Verein hat zwei Standorte, in Duisburg und in Köln. Insgesamt gibt es vier hauptamtliche Mitarbeiter*innen und vier Honorarkräfte. Die Servicestelle wird seit über 20 Jahren mit Landesmitteln finanziert, aktuell aus dem Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes NRW. Seit 2009 ist ARIC-NRW außerdem offizielle Integrationsagentur. “Eigentlich würden wir gerne mit dem Thema arbeitslos werden. Wir würden uns natürlich wünschen, dass niemand in der Gesellschaft mehr diskriminiert wird. Wir erhoffen uns, dass Gesetze so angepasst werden, dass Menschen vor Diskriminierung geschützt werden”, sagt Co-Geschäftsführerin Gülgün Teyhani.
Emotionale Gespräche über schlimme Vorfälle
Erstes Standbein des Vereins ist die Antidiskriminierungsberatung. In die Servicestelle kommen Menschen, die Erfahrungen mit rassistischer Diskriminierung gemacht haben und Hilfe brauchen. Die Beratungsgespräche sind häufig sehr emotional. Die Klient*innen sind wütend und enttäuscht darüber, wie mit ihnen umgegangen wurde. Sie wollen, dass sich etwas verändert und niemand mehr Diskriminierung erfahren muss. In der letzten Zeit habe sich der Ton der Täter verschärft, sagt Antidiskriminierungsberaterin Filiz Akgün: “Aussagen, mit denen Menschen heute diskriminiert werden, habe ich früher in der Beratung noch nicht gehört. Solche schlimmen Bemerkungen waren damals tabu, heute sind sie salonfähig geworden.”
Die Klient*innen klagen neben plumpen Beleidigungen und Beschimpfungen ebenfalls häufig darüber, ausgrenzend behandelt zu werden. Dazu zählen Sätze wie, “Sie passen nicht in die soziale Infrastruktur” bei der Wohnungssuche, dass der Eintritt in die Diskothek oder die Anmeldung beim Fitnessstudio verweigert wird, dass man im Job ungleich behandelt wird oder der Zugang zum Arbeitsmarkt trotz absolvierter Ausbildung in anderen Ländern überhaupt erst erschwert wird. Die Beratungsstelle nimmt jegliche Fälle von Diskriminierungen auf. Insbesondere erleben sie in der Beratung Grenzen von strukturellem und institutionellem Rassismus.
Tag des Dialogs
An jedem zweiten Freitag und Samstag im November eines Jahres organisiert ARIC-NRW gemeinsam mit der Bürgerstiftung Duisburg und dem Kommunalen Integrationszentrum den “Tag des Dialogs”. In Gesprächsrunden wird über verschiedene Themen diskutiert. Bewirtung und Gestaltung wird von den jeweiligen Gastgebern übernommen.
Die Klient*innen werden in ihrer Aussage und Wahrnehmung unterstützt. Wenn sich jemand diskriminiert fühlt, dann wird das auch so aufgenommen und nicht heruntergespielt. “Ich war nicht in der Situation und stecke nicht in der Haut dieses Menschen. Wir arbeiten deshalb parteilich mit unseren Klient*innen”, lautet das Credo in der Beratung. Ein “Stell dich nicht so an” oder “War doch nicht so schlimm” wird es hier nicht geben – denn jeder Mensch erfährt Diskriminierung auf andere Weise. Der Verein nach Standards, die er selbst mit dem Antidiskriminierungsverband Deutschland (ADVD) entwickelt hat.
Um Diskriminierung und Rassismus vorzubeugen und damit Menschen sich in entsprechenden Situationen wehren können, bietet der Verein außerdem gezielt Schulungen an. Mit seinen Trainingsangeboten “für Jugendliche, Multiplikatoren und alle Interessierten” ist der Verein außerordentlich erfolgreich. Mittlerweile gibt es wöchentlich Trainings. Eine Auswahl der Themen: Antirassismustrainings, Interkulturelle Öffnung, Antiziganismus, Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen, Zivilcouragetrainings, Workshops zur Antidiskriminierungsarbeit und zur Antidiskriminierungsberatung, in Schulen und mehr.
Menschenrechtsarbeit ist im Alltag verankert
Der Verein macht politische Menschenrechtsarbeit. Im Alltag kommen die Mitarbeitenden des Vereins deshalb immer wieder auf die Menschenrechte zurück. “Wir haben täglich damit zu tun, Menschen vor Diskriminierung zu schützen und ihnen zu zeigen, wie sie sich dagegen wehren können. Zum Beispiel darauf, dass es ihr Recht ist, eine Wohnung zu mieten, eine Arbeitsstelle zu haben, sowie das Kind bei der Schule oder in einer Kindertagesstätte anzumelden. Man kann Antidiskriminierungsarbeit nur dann vernünftig machen, wenn man wirklich an die Menschenrechte glaubt. Das ist eine bewusste Entscheidung”, sagt Gülgün Teyhani. Für die Co-Geschäftsführerin von ARIC werden die Menschenrechte in Deutschland längst nicht vollständig umgesetzt: “Wenn ich sehe, wie viele Menschen zu uns in die Beratung kommen, und welche strukturellen Probleme sie in Deutschland haben, dann ist das äußerst einschränkend. Die Entwicklung geht aktuell auch in die falsche Richtung.”
Eine Verbesserung soll das Projekt “Kompass F – Kompetenzentwicklung im Diskriminierungsschutz für Geflüchtete” bringen, das von den Kolleg*innen von ARIC-NRW in Köln mit dem Co-Geschäftsführer Hartmut Reiners geleitet wird. Seit März 2017 läuft das auf drei Jahre angelegte Projekt, das unter anderem vom Paritätischen NRW und von der Paritätischen Akademie NRW unterstützt wird. In dem Projekt geht es um die Diskriminierung von Geflüchteten, die eine Sondersituation darstellt. “Geflüchtete bringen immer die Erfahrung mit, diskriminiert zu werden. Erstens individuell, wenn es um den Arbeits- oder Wohnungsmarkt geht, aber auch strukturell, wenn es um die Gesetzeslage geht”, sagt Gülgün Teyhani. Das Projekt „Kompass F“ entwickelt mit den Einrichtungen der Flüchtlingshilfe des Paritätischen NRW, wie systematisiertes Wissen und Interventionsstrategien zum Abbau von Diskriminierungen gegenüber geflüchteten Menschen angewendet werden können. Eine rassismuskritische, differenzsensible und intersektional ausgerichtete Beratung ist das Ziel, die Menschen mit Fluchterfahrung unterstützen und ihnen Stärke im Umgang mit Diskriminierung vermitteln soll.
Zielgruppe des Projektes sind Fachkräfte aus der Praxis, die mit Geflüchteten arbeiten, sowie Akteur*innen aus der Integrationsarbeit, zum Beispiel aus Initiativen und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Sie sollen unter anderem dabei helfen, dass die Geflüchteten sich in diskriminierenden Situationen selbstbewusst verhalten. Die Studie „Diskriminierungsrisiken, -felder und -formen & Diskriminierungsschutz von/ für geflüchtete Menschen in NRW’“ hat die zentralen Problematiken für Geflüchtete im Kontext von Diskriminierung erfasst, unter anderem durch Interviews mit Betroffenen sowie Fachkräften aus der sozialen Arbeit. Weitere Ergebnisse aus dem Projekt in diesem Jahr sind unter anderem zahlreiche Publikationen, ein Co-Beratungsangebot für Geflüchtete bei Diskriminierungsfällen durch die paritätische Flüchtlingsberatung, Begleitung und Coaching von ausgewählten paritätischen Beratungsstellen, sowie Qualifizierungs- und Informationsangebote, zum Beispiel für Beratungsstellen, Flüchtlingsinitiativen und Selbstorganisationen.
Mensch, du hast Recht
Mit der Kampagne “Mensch, du hast Recht” möchte der Paritätische Gesamtverband die Menschenrechte in gesellschaftlich aufgebrachten Zeiten ins Bewusstsein bringen. In diesem Blog werden begleitend im Laufe des Jahres mehrere Artikel zum Thema Menschenrechte erscheinen – gesammelt unter dem Stichwort „Fokus“.
Artikelfoto: © digitalskillet1 | Fotolia
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