Frauen sind noch viel zu selten in Führungspositionen, findet Andrea Büngeler, Landesgeschäftsführerin des Paritätischen NRW. In unserem Interview setzt sie auf Flexibilität in Arbeitszeitmodellen und ermutigt Frauen, sich die Führungsrolle zuzutrauen.
Frau Büngeler, laut dem Statistischen Bundesamt sind 22,5 Prozent der Führungskräfte in Deutschland weiblich.
Gemessen am Bevölkerungsanteil ist das eindeutig zu wenig. Und auch gemessen daran, wie viele Hochschulabgängerinnen und qualifizierte Frauen es gibt. Das ist schon erschreckend, muss ich sagen.
Würden Sie sich eine Fifty-Fifty-Quote wünschen?
Im Endergebnis ja. Ob das in jeder Branche und in jedem Gremium so sein muss… ich wäre da nicht so dogmatisch. Aber als Zielgröße fände ich es gut, wenn in jedem Gremium zumindest mehr als die typische Quotenfrau säße. Ich glaube, dass es genug qualifizierte Frauen gibt.
Welche Eigenschaften müssen Frauen haben, die in Führungsposition sind?
Aus meiner Sicht braucht man in manchen Momenten ein ziemlich dickes Fell. Und ein bisschen mehr Mut zur Selbstvermarktung! Ein Beispiel: Wenn in Diskussionsrunden etwas gesagt wurde, kann ich das ruhig wiederholen. Das ist etwas, das Frauen eigentlich nicht tun. In Gesprächsrunden mit Frauen passiert das nicht. Männer machen das anders. Frauen müssen das noch ein Stück weit lernen, anstatt darauf zu warten, dass jemand die eigenen Fähigkeiten entdeckt.
Dickes Fell, sich zeigen – sind das nicht Fähigkeiten, die alle Menschen in Führungspositionen haben müssen? Warum ist es so, dass Frauen das noch einmal speziell lernen müssen?
Das könnte immer noch mit der Erziehung und tradierten Rollenverständnissen zu tun haben. Oder mit dem Selbstverständnis. Die Generation von Frauen, die in der Breite Abitur machen durften, war dafür noch dankbar und hielt sich deshalb oft zurück. Für meine Kinder ist das Abitur für Frauen heute selbstverständlich – auch mit dem Selbstbewusstsein, danach zu studieren und im Job etwas zu erreichen. Das hat also schon etwas mit Haltung, Erziehung und gesellschaftlichen Normen zu tun.
Was können denn Männer von Frauen lernen?
Zuhören. Auf Zwischentöne zu achten – also auf das, was nicht gesagt ist. Ich glaube das fehlt gelegentlich. Ich finde es aber generell schwer zu sagen, was man voneinander lernen könnte. Ich will als Frau kein Mann werden, um das mal ganz deutlich zu sagen. Man kann als Frau natürlich gewisse Verhaltensweisen lernen – aber warum? Manche Spielchen braucht man gar nicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Man kann auch einfach mit Fachwissen, Kompetenz und Sympathie punkten. Das finde ich entscheidender.
Junge Frauen verzichten heutzutage nicht mehr so leicht auf ihre Karriere. Deshalb muss geschaut werden, wie man das alles unter einen Hut kriegt: Erfolg und Spaß im Job und dabei die Kinder nicht zu vernachlässigen. Da ist auch Politik gefordert.“
Wenn man alle guten Eigenschaften von Männern und Frauen zusammenführt, erhält man dann eine optimale Führungskraft?
Führung hat in meinen Augen immer auch etwas mit Persönlichkeit, Haltung und Risikobereitschaft zu tun, aber auch mit der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Ob man das aus Männern und Frauen jetzt so matchen kann, ist mir ein bisschen zu einfach.
Sie haben anklingen lassen, dass es Branchen gibt, die traditionell eher von Männern oder eher von Frauen angeführt werden. Ist es im sozialen Bereich einfacher für Frauen, Karriere zu machen?
Das sollte man meinen. Bis zu einer bestimmten Etage stimmt das auch. Wenn ich mir aber zum Beispiel den Hauptausschuss der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege anschaue, dann sitzen dort fast ausschließlich Männer. In anderen Gremien ist es ähnlich. So prädestiniert ist der soziale Bereich also nicht. Den Paritätischen Landesverband NRW sehe ich mit zahlreichen weiblichen Führungskräften in dieser Hinsicht aber gut aufgestellt. Perspektivisch hat es jedenfalls damit zu tun, wie man Teilzeitmodelle etablieren kann.
Verhindert Familie Karriere?
Es muss darüber nachgedacht werden – und zwar nicht nur von den Frauen, sondern auch von den Männern, die sich heutzutage aber zum Glück immer mehr verantwortlich fühlen – wie verbindet man Familie und Karriere? Unabhängig von finanziellen Rahmenbedingungen ist es heutzutage schwierig, fünf oder sechs Jahre lang zuhause zu bleiben. Ich habe mir das damals bei meinen Kindern gönnen können und wollen, wüsste aber nicht, ob ich dazu heute überhaupt noch jemandem raten würde. Heutzutage erkennt man nach sechs Jahren seinen Arbeitsplatz überhaupt nicht wieder. Das verlangt ein Umdenken, auf das wir uns perspektivisch einstellen müssen. Junge Frauen verzichten heutzutage aber nicht mehr so leicht auf ihre Karriere. Deshalb muss geschaut werden, wie man das alles unter einen Hut kriegt: Erfolg und Spaß im Job und dabei die Kinder nicht zu vernachlässigen. Da ist auch Politik gefordert.
Gibt es beim Paritätischen NRW Programme oder Maßnahmen dafür?
Wir sind immer offen für Gespräche mit Müttern und Vätern, die mit ihren Vorstellungen zu uns kommen, um diese Ideen gemeinsam umzusetzen. Das halte ich auch für wichtig. Das gilt im Übrigen sowohl für Elternzeiten als auch für Pflegezeiten.
Zur Person
Die Diplom-Verwaltungswirtin und Diplom-Kauffrau Andrea Büngeler ist seit 1997 beim Paritätischen Landesverband NRW in verschiedenen Funktionen tätig. Seit 2010 war sie stellvertretende Landesgeschäftsführerin, seit dem 1. Dezember 2017 ist sie Landesgeschäftsführerin.
Im Paritätischen NRW teilen Sie sich die Führungsposition als Geschäftsführerin ganz gleichberechtigt mit Ihrem Kollegen Christian Woltering.
Es ist schon relativ früh im Gespräch gewesen, zur Nachfolge des langjährigen Geschäftsführers Hermann Zaum eine Doppelspitze einzurichten. Die Arbeitsbelastung und die Termindichte ist in den letzten Jahren unglaublich gewachsen. Damit war klar, dass dieses Amt im Paritätischen nur gleichberechtigt besetzt werden kann.
Wie gehen Sie mit dem Thema Gleichberechtigung in Ihrer eigenen Führungsarbeit um?
Wir schauen, dass wir es hinkriegen, Stellen mit Männern und Frauen gleichermaßen zu besetzen. Wir ermutigen außerdem Frauen, es sich zuzutrauen, in Führungspositionen zu gehen, und sie entsprechend zu unterstützen.
Gehen Sie aktiv auf Kandidatinnen zu?
Ja, wenn es Ideen gibt. Mir ist immer wichtig, mit den Mitarbeiter*innen in Kontakt zu bleiben und nach deren Zielen und Perspektiven zu fragen. Wenn wir in Zukunft Stellen zu besetzen haben, kann da was passen.
Man würde doch zugunsten einer ausgeglichenen Bilanz auch nicht auf einen optimalen Kandidaten oder eine optimale Kandidatin verzichten.
Nein, sicher nicht. Wir haben häufig Bewerber*innen mit ähnlichen Qualifikationen, da entscheidet man dann aus dem Gespräch heraus. Grundsätzlich nehmen wir die Gleichberechtigung aber immer in den Blick. Das gilt übrigens andersherum auch: Zum Beispiel für den Bereich der Sachbearbeitung, für den wir in den letzten Jahren immer mal wieder männliche Auszubildende im Bereich der Bürokommunikation hatten.
Wie wichtig ist es, dass sich Frauen über die Unternehmensgrenzen hinaus austauschen?
In der Realität ist das oft schwer, aber ich halte es schon für wichtig. Zum einen schafft es Netzwerke, die für das berufliche Fortkommen hilfreich sein können. Es geht aber auch um Kontakte bei einzelnen Projekten. Mich interessiert zum Beispiel, was andere Unternehmen in Sachen Personalentwicklung oder digitales Arbeiten machen. Ein anderer Teil des Netzwerkens liegt auf der persönlichen Ebene, eine Austauschplattform zu haben, wie andere Frauen agieren und arbeiten.
Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus ist es als Frau schwieriger, wenn man auf männlich dominierte Strukturen trifft, und mit ihnen umzugehen. Das erfordert nicht unbedingt mehr Leistung, sondern eine andere Form von Durchsetzungsfähigkeit.“
Woran haben Sie sich in Ihrer Karriere orientiert?
Ein Vorbild im klassischen Sinne hatte ich nicht. Wenn dann ging es um das Auftreten einer Person. Von der Körpersprache – nicht unbedingt inhaltlich – war das Heide Simonis in ihren Anfängen. Ohne, dass ich dazugehört hätte, bin ich ein Stück weit von der Feminismus-Debatte geprägt. Mich hat immer der Wunsch nach einem gewissen Maß an Eigenständigkeit und Unabhängigkeit angetrieben.
Haben Sie schon in Ihrer Jugend entsprechende Vorstellungen gehabt?
Ich war keine Rebellin im klassischen Sinne. Ich wusste immer, was ich machen wollte. Nach dem Abitur habe ich ein duales Studium beim Land Niedersachsen angefangen. Das Studium hatte neben der Betriebswirtschaftslehre einen Jura-Anteil. Für mich, direkt nach dem Abitur, gab es viel Geld. Und das Ganze noch weg von zuhause – ich fand es ideal (lacht). Also bin ich nach dem Abitur ausgezogen. Das war eine gute Entscheidung.
Hilft es im Beruf, wenn man schon früh gelernt hat, seinen Alltag allein zu regeln?
Ja. Mich hat aber vor allem weitergebracht, dass wir nach dem Einführungssemester direkt in die Praxis mussten – und man mit 19 Jahren von der Schule in die Arbeitsabläufe einer Behörde kommt. Nach drei Jahren waren wir fertig ausgebildet und bekamen direkt eine Gruppenleitung zugewiesen. Dann sitzt man mit Anfang 20 als Leitung in der Runde mit 40- oder 50-Jährigen, die den Job schon seit 20 Jahren machen. Da habe ich viel gelernt, wie Organisationen funktionieren und wie man Menschen gewinnen kann.
Sie haben eine Pause eingelegt, um sich um Ihre Kinder zu kümmern. Ihr Beispiel zeigt eigentlich, dass man davor keine Angst zu haben braucht.
Ich weiß nicht, ob einem das heutzutage noch so gelingt. Ich war damals sechs Jahre raus aus dem Beruf. Ich schätze, dass der technische Fortschritt heute viel schneller vonstatten geht. Ob man da auf Stand bleibt? Ich kann es nicht sagen. Beim Paritätischen NRW hatten wir so eine lange Auszeit in den letzten Jahren jedenfalls nicht – meistens waren es maximal zwei Jahre. Danach ging es bei den Kolleginnen zumindest in Teilzeit weiter.
Im Zusammenhang mit Frauen in Führungspositionen kommt häufig die Aussage, dass Frauen noch einmal mehr Prozent Leistung geben müssten, um Karriere zu machen. Haben Sie das auch so erlebt?
Ich glaube schon, dass eine andere Leistungsbereitschaft dazugehört, wenn man in Führungspositionen geht. Das gilt aber für Männer genauso. Ebenso, dass man Spaß an der Arbeit haben muss. Aus meiner persönlichen Erfahrung heraus ist es als Frau schwieriger, wenn man auf männlich dominierte Strukturen trifft, und mit ihnen umzugehen. Das erfordert nicht unbedingt mehr Leistung, sondern eine andere Form von Durchsetzungsfähigkeit. Frauen und Männer sollten in dieser Hinsicht gemeinsam neue Spielregeln verabreden.
Artikelfoto: Archiv Parität NRW
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