Das Wohlbefinden von Mitarbeiter*innen ist ein wichtiger Baustein, damit Unternehmen ihre Ziele erreichen. Diplom-Ökonomin Simone Schmitt, systemische Supervisorin und Organisationsberaterin, spricht im Interview über die Vorteile von betrieblichem Gesundheitsmanagement.
Frau Schmitt, was steckt hinter dem Begriff Gesundheitsmanagement in Unternehmen?
Für viele Menschen klingt es erst einmal nicht intuitiv, dass Gesundheit gemanagt werden kann. Es macht aber Sinn, dass Betriebe ein Gesundheitsmanagement einführen – als strukturierten Prozess, in dem Ziele, klare Zuständigkeiten und eindeutige Abläufe festgelegt werden. In einem stetigen Verbesserungsprozess wird dadurch die Gesundheit der Mitarbeitenden in einem Unternehmen unterstützt und die Resilienz gestärkt.
Wie profitiert ein Unternehmen davon?
Gesundheit wird heute im betrieblichen Gesundheitsmanagement ganzheitlich betrachtet. Nach Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist Gesundheit ein „Zustand physischen, psychischen und sozialen Wohlbefindens“, also nicht nur die Abwesenheit von Krankheit. Wenn man Gesundheit auf dieser Basis sieht, erkennt man einen weitergehenden Zusammenhang zur Arbeit als er früher lediglich durch Arbeitsunfälle und -unfähigkeit dargestellt wurde. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement hat neben der Verhaltensprävention (Ernährung, Bewegung etc.) vor allem die Verhältnisprävention in den Fokus genommen. Das bedeutet, dass die Arbeitssituationen, die Aufgaben und Prozesse sowie die Zusammenarbeit in einem Betrieb starke Auswirkungen auf die Gesundheit haben.
Das Wohlbefinden hat wiederum stark damit zu tun, dass Mitarbeitende kreativ, innovativ und leistungsstark sind. Mitarbeitende, die fit sind und sich wohlfühlen, können sich ganz anders in ein Unternehmen einbringen. Fühlen sie sich nicht wohl, ist lange vor auftretenden Fehlzeiten die Produktivität schon eingeschränkt. Zu berücksichtigen sind zugleich Belastungen im privaten Bereich, wie zum Beispiel die Pflege der Eltern. Kann ein Mitarbeiter die Arbeitszeit nicht mit seinen häuslichen Anforderungen vereinbaren, führt dies schnell zu Überlastungen. Hier sind zum Beispiel flexible Arbeitszeiten oder gelegentliches Homeoffice hilfreich.
Meinen Sie damit, dass gesundheitliche Einschränkungen in solchen Fällen oft schleichend auftreten, zum Beispiel durch immer wiederkehrende Erkältungen?
Genau. Das klassische und immer wieder diskutierte Burnout ist der Endpunkt einer Entwicklung, bei dem das Immunsystem geschwächt wurde. Bei dem Mitarbeitende oftmals frustriert wurden, bevor sie irgendwann das Gefühl bekommen, alles nicht mehr zu schaffen. Das ist ein langer Prozess, an dessen Ende Mitarbeitende erst sagen, dass sie es nicht mehr schaffen. Davor ist die Kommunikation eingeschränkt worden, Arbeit hat sich auf Automatismen reduziert, die Kreativität und Merkfähigkeit ist reduziert… da ist ein langer Prozess in Gang gekommen.
Positive Effekte von gezieltem Gesundheitsmanagement wären dann, dass Mitarbeitende weniger krank werden?
Auf jeden Fall. Sie werden weniger krank – aber es geht noch viel weiter. Wenn man betriebliches Gesundheitsmanagement als stetigen Verbesserungsprozess einführt, erleben Mitarbeitende, dass sich das Unternehmen um sie kümmert. Sie bringen dann meist viele Ideen ein, wie die Arbeit und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert werden können. Nicht nur die Gesundheit, sondern auch die Produktivität und die Kundenzufriedenheit können dadurch verbessert werden. Es wird also ein Organisationsentwicklungsprozess in Gang gesetzt.
Wie kann man als Führungskraft einen gesunden Arbeitsstil entwickeln?
Die Aufgabe der Führungskraft ist es vor allem, dass Arbeit so gestaltet wird, dass sie anspruchsvoll ist, aber auch der Persönlichkeit der Mitarbeitenden entspricht und handhabbar ist. Einem kreativen Menschen darf ich keine stupide Arbeit geben, das kann regelrecht krank machen. Auch Unterforderung macht krank. Als Führungskraft habe ich die Aufgabe, Arbeit so zuzuschneiden, dass sie dem Menschen entspricht. Dann sind Mitarbeitende sehr leistungsfähig und motiviert. Natürlich bin ich als Führungskraft auch Vorbild. Lösungsorientierung und Gelassenheit können eine gute Grundlage sein, um Schwierigkeiten sachlich anzugehen ohne übermäßigen Stress zu produzieren.
Ganz einfach und kostengünstig ist es, dass Pausen regelmäßig und frühzeitig genommen werden. Es gibt klare Untersuchungen, dass Mitarbeitende, die Pausen wahrnehmen, im Endeffekt leistungsfähiger sind.“
Dennoch hat man den Eindruck, dass mehr über Überforderung als über Unterforderung geklagt wird. Man hört meistens eher, dass zu viel gearbeitet wird.
Wer über “zu viel Arbeit” klagt, beschwert sich meist über die Menge. Manchmal führen die Rahmenbedingungen zu einer Überforderung: Zum Beispiel, dass Aufgaben verteilt werden, ohne dass die Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Unterforderung bedeutet häufig, dass Mitarbeitende in ihren Möglichkeiten beschränkt werden, weil sie nicht eigenverantwortlich arbeiten können – dafür aber sehr viel arbeiten müssen.
Ist es dann psychische Überlastung, die krank macht?
Wir sagen heute, dass wir Physis und Psyche kaum noch trennen können. Es gibt eine enge Verbindung zwischen Körper und Geist. Wir wissen jetzt, dass Stress ganz starke Auswirkungen auf das Immunsystem hat. Das geht so weit, dass genetische Veranlagungen erst durch chronischen Stress auftreten. Unter guten Rahmenbedingungen würden Mitarbeitende dann nicht krank werden.
Zu welchen Schnellmaßnahmen würden Sie raten, die aus dem Stand helfen?
Ganz einfach und kostengünstig ist es, dass Pausen regelmäßig und frühzeitig genommen werden. Es gibt klare Untersuchungen, dass Mitarbeitende, die Pausen wahrnehmen, im Endeffekt leistungsfähiger sind. Ein weiterer Klassiker ist, dass eine Sekretärin oder ein Sekretär mit einem Headset telefonieren sollten. Das kostet relativ wenig, entspannt aber den Nacken und macht die Arbeit angenehmer. Genau wie ein guter Bürostuhl. Das sind überschaubare Investitionen, mit denen schnell Verbesserungen herbeigeführt werden können.
Dazu kann man die Arbeitszeit so gestalten, dass sie für die Mitarbeitenden auch passt. Ist Teilzeit möglich? Passt die Arbeitszeit zur Familiensituation? Hier können Homeoffice-Stunden die Stresssituation für Mitarbeitende sehr entlasten.
Zur Person
Simone Schmitt ist Beraterin für systemische Organisationsentwicklung und Kommunikation. Einer ihrer Beratungsschwerpunkte der letzten Jahre ist das betriebliche Gesundheitsmanagement. Bei der Paritätischen Akademie NRW gibt sie Kurse zu den Themen Management und gesundes Führen.
Sie haben zu Beginn klare Zuständigkeiten erwähnt. Wie werden diese in einem Unternehmen am besten geregelt?
Die Geschäftsleitung sollte eine Steuerungsgruppe einrichten und regelmäßig an deren Sitzungen teilnehmen. An der Gruppe sollten möglichst diejenigen Personen aus einem Unternehmen beteiligt sein, die für die Gestaltung eines Gesundheitsmanagements relevant sind – von Betriebsarzt*Betriebsärztin über Beauftragte im Eingliederungsmanagement und Arbeitssicherheitsbeauftragte bis zu den Führungskräften. Des Weiteren ist der Betriebsrat regelmäßig einzubinden. Diese Steuerungsgruppe entwickelt gemeinsam Ziele und Maßnahmen.
Wie verbindlich ist es, ein Gesundheitsmanagement in einem Unternehmen einzuführen? Gibt es gesetzliche Vorgaben?
Es gibt gesetzliche Grundlagen im Bereich des Arbeitsschutzes, der Arbeitszeit oder des Eingliederungsmanagements. Zum Arbeitsschutz gehört zum Beispiel sowohl die herkömmliche als auch die psychische Gefährdungsbeurteilung. Darüber hinaus gibt es Spielraum, diese Grundlagen betriebsspezifisch zu ergänzen. Zur Best Practice zählt heute, dass die gesetzlichen Anforderungen und die freiwilligen Maßnahmen miteinander verbunden sind.
Kann ein funktionierendes Konzept im Gesundheitsmanagement dazu führen, dass sich Fachkräfte bei der Jobwahl für ein Unternehmen entscheiden?
Ja, ich denke aber nicht, dass es um den einzelnen Sportkurs geht, wenn sich jemand dazu entscheidet, für ein Unternehmen tätig zu werden. Wenn ein Bewerber oder eine Bewerberin allerdings erlebt, dass in einem Betrieb Mitarbeitende ernst genommen, gestützt, gefördert und begleitet werden, dann hat das schon eine große Relevanz bei der Auswahl.
Was tun Sie selbst eigentlich für Ihre Gesundheit im Beruf?
Ich achte zunächst darauf, dass ich meine Arbeit für sinnvoll erachte und dass ich sie gerne mache. Das ist erstmal das Wichtigste. Und dann gibt es natürlich auch bei mir den inneren Schweinehund, den ich überwinden muss (lacht). Dann muss ich mich selbst dazu überreden, in der Pause mal an die frische Luft zu gehen oder den Salat statt der Currywurst zu nehmen – weil man weiß, dass es einem hinterher besser geht.
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