Wie können Führungskräfte ihre Sicherheit in Sachen Entscheidungen verbessern? Wie nehmen Sie die Mitarbeiter*innen dabei mit? Stephanie Frenzer, Trainerin für systemische Führungskompetenz, spricht im Interview über Chancen aktiver Führungsarbeit.
Frau Frenzer, gibt es einen Tipp, der Führungskräften im Alltag immer helfen kann?
Ich glaube es hilft immer, wenn man in manchen Situationen einen Schritt zurück tritt und etwas Abstand zum aktuellen Geschehen findet. Um zu verhindern, sich an einer Fragestellung oder einer Lösungsperspektive festzuhalten. Letztendlich geht es darum, die eigene Perspektive zu wechseln und neue Gedanken zu ermöglichen. Man kann zwischenzeitlich anfangen, sich mit anderen Dingen auseinanderzusetzen oder mit anderen Menschen ins Gespräch zu gehen, um den Fokus zu erweitern oder zu wechseln.
Gilt das auch für Situationen wie Gespräche oder Sitzungen? Wenn man spürt, dass etwas nicht vorangeht und Entscheidungen nicht fallen?
Ja, das hilft auch in solchen Momenten. Als Führungskraft sollte man das Selbstbewusstsein haben, Entscheidungen gegebenenfalls zu vertagen.
Stehen Führungskräfte oftmals unter Druck, weil sie glauben, schnelle Entscheidungen treffen zu müssen, um ihrer Position gerecht zu werden?
Ja, das stimmt. Ich glaube aber nicht nur mit Blick auf die Erwartungshaltung. Führungskräfte sind nach meiner Erfahrung oftmals Menschen, die viele Ansprüche an sich selbst haben: Lösungen und Antworten bieten zu müssen, schnell sein zu müssen und das entsprechende Wissen parat haben zu müssen. Das entspricht allerdings nicht meinem systemischen Bild von Führung. Führung sollte vielmehr Prozesse gestalten, die dazu führen, dass Lösungen und Entscheidungen getroffen werden können. Führung sollte Sicherheit in unsicheren Situationen bieten, was nicht bedeutet, dass man alles im Griff haben muss. Das bedeutet eher, völlig selbstsicher sagen zu können, dass man eine Entscheidung nochmal überdenken muss. Damit signalisiere ich Respekt vor Situationen und Wertschätzung den Menschen gegenüber.
Welches Verhalten hilft Führungskräften außerdem?
Es gilt der simple Spruch: Wenn ich will, dass sich etwas verändert, muss ich selbst etwas anders machen. Und dazu muss ich auf mich schauen. Außerdem zeigen sich gute Führungskräfte in ihrer Wertschätzung für die Mitarbeiter*innen.
Im Alltag ist das für eine Führungskraft sicherlich nicht immer einfach. Wie geht das praktisch?
Ich glaube, dass ein Kern des Führungsjobs im permanenten Sortieren liegt. Was ist der Auftrag an mich? Was will ich in einer Situation erreichen? Welche Prioritäten setze ich? Aber auch: Womit bin ich als Führungskraft am stärksten verführbar? Denn Führung ist keine Einbahnstraße. Als Führungskraft werde ich auch von meinen Mitarbeiter*innen geführt. Wenn ein*e Mitarbeiter*in mit einem bestimmten Thema zu mir kommt, und ich gleich auf 180 gehe – wer führt da wen? Wenn ich ein gutes Wissen über meine eigenen Reaktionen habe, fällt es mir leichter, mich im Alltag nicht “verführen” zu lassen.
Gerade wenn ich in der Führungsposition am Anfang stehe, ist es wichtig, Situationen zu verlangsamen, um mich intensiv mit meinen eigenen Reaktionen auseinandersetzen zu können. Ich weiß, dass das ein Widerspruch ist, weil Führungskräfte immer wenig Zeit und viel zu tun haben. Ich stelle ihnen dann häufig die Frage, ob sie es sich denn leisten können, sich die Zeit nicht zu nehmen. Denn: Nach meiner Erfahrung wird der Aufwand durch das Nacharbeiten, weitere Gespräche und letztlich viel Ärger bedeutend größer. Es gibt dazu das schöne Bild mit dem Bauern, dessen Hühnerstall einen kaputten Zaun hat. Er ist nur damit beschäftigt, die Hühner einzufangen, anstatt den Zaun zu reparieren.
Wie behält man auf gesunde Art und Weise den Überblick über die Qualität und die Fortschritte im eigenen Verantwortungsbereich?
Das hat viel damit zu tun, wie eigenverantwortlich die Mitarbeiter*innen im Unternehmen arbeiten. Wie sehen die Spielregeln aus, wenn etwas nicht so gut funktioniert? Kommen dann die Mitarbeiter*innen zu mir oder arbeite ich in einem System, in dem ich kontrollieren muss, wenn etwas schiefläuft? Ich kenne beide Varianten. Letztendlich ist es gut, wenn ich als Führungskraft darauf hinarbeite, dass Mitarbeiter*innen immer dann zu mir kommen, wenn Handlungsbedarf entsteht. Dann verstecken sie auch schwierige Themen nicht vor mir als Führungskraft, und man kann frühzeitig gemeinsam an Lösungen arbeiten. Das muss man allerdings in der Organisationskultur verankern.
Zur Person
Diplom-Pädagogin Stephanie Frenzer ist Trainerin, Beraterin und Systemischer Coach (SG) bei der Move Organisationsberatung Münster. Für die Paritätische Akademie NRW gibt sie Seminare im Bereich Management.
Wie können diese Spielregeln eingebracht werden?
Die Spielregeln bestehen innerhalb einer Organisation schon. Formale Regeln kann man leichter definieren und verändern. Entscheidender und wirksamer sind aber die informellen Regeln – zum Beispiel zum Thema Dienstweg. Bin ich als Mitarbeiter*in verloren, wenn ich die definierten Dienstwege einhalte und komme vielleicht viel besser klar, wenn ich meinen Vorgesetzten umgehe? Was in meiner Organisation seit Ewigkeiten in einer bestimmten Art und Weise gehandhabt wurde, kriege ich als Führungskraft nur sehr schwer umgedreht. Dann muss ich einen Kulturwechsel einläuten – entweder Schritt für Schritt oder durch Provokation. Zum Beispiel durch einen Trick wie die Wahl zum “Fehler des Monats”, wenn man eine offene und tolerante Fehlerkultur anstrebt.
Die Digitalisierung ist wohl aktuell das prominenteste Beispiel für Change-Prozesse in Unternehmen. Welches ist der optimale Zeitpunkt, um einen Change-Prozess zu starten?
Den gibt es nicht. Es braucht wahrgenommene Sinnhaftigkeit, und die ist in Krisenzeiten sicher schneller erzeugt. Ein Wandel wird jedoch nie von allen gleich positiv aufgenommen. Und es gehen nie alle Mitarbeiter*innen mit. Davon sollte man sich als Führungskraft also lösen, um den eigenen Stress zu minimieren. Es braucht einerseits Druck und andererseits Zug. Auf der einen Seite sollten Mitarbeiter*innen die Chance haben, nachvollziehen zu können, was passiert, wenn nichts verändert wird; auf der anderen Seite sollten sie wissen, warum es sich für sie lohnen kann, den neuen Weg mitzugehen. Widerstand aus der Belegschaft kommt ohnehin. Es macht deshalb Sinn, diesen Widerstand zu organisieren und Mitarbeiter*innen dazu einzuladen, sich zu äußern.
Was spricht gegen die Änderungen? Was sind die Nachteile? Was wird dadurch kompliziert? Wo fühlen sich die Mitarbeiter*innen nicht wohl? Was ändert sich für Kund*innen oder Klient*innen? Bedenken haben eine Bremsfunktion und sind wichtig fürs System. Niemand würde ernsthaft in ein Gefährt ohne Bremsen einsteigen. Das Verlangsamen sorgt dafür, dass es Prüfinstanzen gibt. Führungskräfte tun gut daran, den Widerstand als Prüfschleifen des Systems aufzugreifen. Eine Führungsriege kann voller Selbstgewissheit auch wunderbar in die falsche Richtung laufen.
Artikelfoto: (c) contrastwerkstatt Adobe Stock
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