Was tun, wenn am Stammtisch gegen Ausländer*innen gehetzt wird? Wenn auf dem 80. Geburtstag der Oma frauenfeindliche Witze erzählt werden? Der Sozialwissenschaftler und interkulturelle Trainer Sebastian Hammer gibt in Seminaren Tipps gegen Stammtischparolen.
„Flüchtlinge sind Schmarotzer und wollen ja gar nicht arbeiten gehen.“ „Wenn Schwule heiraten dürfen, stirbt die Menschheit irgendwann aus.“ „Frauen gehören nicht an die Spitze von Unternehmen, sondern in die Küche.“ Solche Parolen kommen leider auch im Jahr 2017 immer noch viel zu häufig vor. Sie treffen einen unvorbereitet und hart, wie ein Steinwurf an den Kopf. Sie sind rassistisch, homophob, frauenfeindlich – aber auch viele andere Arten von Diskriminierung kommen vor. Wie kann man sich in einer Gesprächssituation schnell schütteln und auf solche Parolen reagieren? Sebastian Hammer weiß es. Er ist interkultureller Trainer und Koordinator für die Flüchtlingsarbeit bei IFAK e.V. in Bochum. In Kooperation mit der Paritätischen Akademie NRW gibt der Sozialwissenschaftler „Argumentationstrainings gegen Stammtischparolen“.
„Die meisten Menschen ärgern sich im Nachhinein darüber, dass sie nicht schneller Kontra gegeben haben. Sie sagen, eine halbe Stunde später im Auto fallen ihnen dann viele gute Argumente ein, die sie in der Situation gut gebraucht hätten“, sagt Hammer. Er berichtet von einer „Schockstarre“, aus der man nicht so einfach herauskommt. Dort setzt er an. Handlungssicherheit gewinnen Menschen, wenn an drei Dingen gearbeitet wird: Erstens die eigene Haltung klar zu kennen und vertreten zu können. Zweitens über bestimmte Dinge Bescheid zu wissen, um mit Fakten kontern zu können. Und der dritte Punkt ist die Kommunikationsfähigkeit – mit der die Schockstarre überwunden werden soll. Das kann man üben, unter anderem in Rollenspielen. Darin wird trainiert, wie man auf welche Parolen antworten kann. Wir haben Sebastian Hammer mit drei Aussagen konfrontiert.
Parole eins: „Die Flüchtlinge nehmen uns unsere Arbeit weg“
Häufig geht es dabei um die Kommunikationsfähigkeit. Hammer rät, beim Thema zu bleiben und nicht auf ein „Parolenspringen“ einzusteigen. Das bedeutet, dass Thema oder Parole bei Widerstand schnell gewechselt werden, um kurz Dampf abzulassen. „Man sollte dann auf einem Thema beharren. Und wenn man zwei oder drei Sätze weiter ist, verstricken sich die Menschen oft auf einmal in Widersprüche und behaupten plötzlich ebenso absurd, dass die Geflüchteten gar nicht arbeiten wollten. Dann setzt das Nachdenken ein“, setzt Hammer auf Hartnäckigkeit beim Nachfragen. Auf der anderen Seite gehe es auch um Wissen, zum Beispiel über Statistiken vom Arbeitsmarkt. „Durch den Zuzug von Geflüchteten sind im Gegenteil eine Menge Arbeitsstellen geschaffen worden, gerade im sozialen Bereich. Und die großen Wirtschaftsforschungsinstitute gehen davon aus, dass Länder von Migration profitieren“, sagt Hammer.
Parole zwei: „Homosexuelle sollen nicht heiraten“
Wer sich anschaut, was hinter Parolen steckt, der kann leichter argumentieren. In diesem Fall hilft, ruhig zu bleiben und Luft aus der Diskussion zu nehmen. „Rund um das Thema Homophobie argumentieren Leute häufig auf einer Gefühlsebene – aus einer Angst heraus, dass tradierte Verhältnisse ins Wackeln geraten“, sagt Hammer. An dieser Stelle helfe es, nachzufragen, inwiefern die*der Gesprächsüartner*in von dem Thema betroffen sind. Gezieltes Hinterfragen und zuhören kann helfen, die*den andere*n selbst ins Nachdenken zu bringen. Ein Argument könne sein, dass die Ehe für alle in vielen westeuropäischen Ländern bereits existiert – „und davon ist das Abendland auch nicht untergegangen“, sagt Hammer. Außerdem sei bewiesen, dass das Argument „Homosexualität ist unnatürlich“ nicht zieht: „Es ist in der Forschung relativ klar, dass Homosexualität ein Verhalten ist, das in der Natur vorkommt“.
Parole drei: „Durch die Frauenquote werden Männer diskriminiert“
Hier helfen zwei Argumentationstechniken. Zunächst kann man auf die persönliche Lebenssituation des (in der Regel männlichen) Gesprächspartners eingehen: „Wie ist es eigentlich bei dir zuhause? Geht deine Frau arbeiten? Findest du das gut?“ Man könne auch nachfragen, ob ihm schon mal der Arbeitsplatz von einer Frau „weggenommen“ wurde. Zudem helfen Fakten, wie zum Beispiel das Wissen über den „Gender Pay Gap“ – den Unterschied zwischen den Gehältern für Frauen und Männer bei gleicher Arbeit – und die Quote von Frauen in Führungspositionen. „2015 haben Frauen 16 Prozent weniger verdient und in den großen Unternehmen waren nur sieben Prozent der Jobs an der Spitze von Frauen besetzt“, sagt Hammer.
Natürlich klingt es in der Theorie einfacher, schlagfertig eine passende Antwort zu bringen, als es in der Realität manchmal ist. Wenn eine Parole in die Luft geschossen wird und man befürchtet, dass es bei einem Widerspruch hitzig wird, ist auf jeden Fall Mut gefragt. Gerade in Gruppen, wenn man befürchten muss, in eine Außenseiter*innenposition zu fallen. Aber es lohnt sich. Erstens, weil es nicht immer darum geht, sein Gegenüber zu bekehren. „Eine Person, die sehr von dem überzeugt ist, was sie sagt, werde ich wahrscheinlich erstmal nicht umstimmen. Wenn eine Parole unwidersprochen im Raum steht, gilt sie aber zunächst als wahr. Umstehende könnten das dann als gegeben mit nach Hause nehmen. Das sollte man verhindern. Außerdem denken vielleicht nicht alle in einer Gruppe so. Wer in die Diskussion einsteigt, hat meist Verbündete“, sagt Sebastian Hammer.
Zweitens sind in der Regel nicht alle, die mit einer Parole um sich werfen, überzeugte Rassisten, Sexisten oder ähnliches. „Hier kann man wirklich Überzeugungsarbeit leisten“, sagt Hammer, der zusätzlich betont: „Zu widersprechen, kann allein schon einem selbst helfen, das ist wie Psychohygiene“. Nämlich dann, wenn man sich eine halbe Stunde später im Auto nicht mehr darüber ärgern muss, dass man nicht widersprochen hat.
Zur Person
Sebastian Hammer ist stellvertretender Geschäftsführer des Bochumer IFAK e.V. – Verein für multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe – Migrationsarbeit. Bei der Paritätischen Akademie NRW ist er als Dozent im Bereich Interkulturelle Bildung und Flüchtlingshilfe tätig und gibt dort unter anderem Seminare zum Thema Stammtischparolen.
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