Verschuldung ist kein Randthema, sondern ein weit verbreitetes Phänomen. Die Gründe sind vielfältig und oft komplex. Christoph Zerhusen, Fachreferent bei der Verbraucherzentrale, erklärt, warum Verschuldung oft aus Lebenskrisen entsteht – und wie Schuldenberatung die Situation verbessert.
„Die Hauptursachen für Verschuldung sind seit Jahren konstant“, erklärt Christoph Zerhusen. „Arbeitslosigkeit, Erkrankungen, Trennungen oder Scheidungen und Todesfälle zählen zu den häufigsten Auslösern.“ Solche Lebensereignisse führen oft zu plötzlichen Einkommenseinbußen, die nicht kompensiert werden können. Besonders betroffen sind Menschen im Niedriglohnsektor. „Wenn man ohnehin schon jeden Cent umdrehen muss, reicht ein unvorhergesehenes Ereignis, um in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten.“
Ein weiteres Problemfeld sind Konsumschulden – beispielsweise durch unüberlegte Käufe auf Raten. Allerdings betont Zerhusen, dass dies nicht der Hauptgrund für Überschuldung sei. „Es ist ein Trugschluss zu denken, dass die meisten Menschen verschuldet sind, weil sie zu leichtfertig mit Geld umgehen.“
Zur Person
Christoph Zerhusen ist Fachreferent bei der Verbraucherzentrale und Anwalt. Seit mehreren Jahren gibt er als Dozent Seminare bei der Paritätischen Akademie NRW zum Thema Schuldner*innen- und Insolvenzberatung. Er ist außerdem Lehrbeauftragter an der Technischen Hochschule Köln.
Die Schuldenberatung: Hilfe zur Selbsthilfe
Für viele Betroffene ist der Schritt zur Schuldenberatung ein großer, aber essenzieller. „Die psychische Belastung durch Schulden ist enorm“, berichtet Zerhusen. „Viele Menschen zögern lange, bevor sie sich Unterstützung suchen.“ Dabei steht die Schuldenberatung den Ratsuchenden ohne Vorwürfe oder Schuldzuweisungen zur Seite.
Zu Beginn der Beratung steht meist die Existenzsicherung im Vordergrund. „Wenn es Miet- oder Stromschulden gibt, kümmern wir uns zunächst darum, dass die Menschen nicht ihre Wohnung verlieren oder ohne Energie dastehen“, sagt Zerhusen. Erst wenn die Situation einigermaßen stabilisiert ist, geht es an die eigentliche Schuldenregulierung.
Der Prozess ist umfassend und geht über reine Finanzplanung hinaus. „Es gibt immer wieder Fälle, in denen wir eine ganzheitliche Perspektive einnehmen müssen“, erklärt Zerhusen. So arbeiten Schuldenberater*innen häufig mit Kolleg*innen aus der Sucht-, Familien- oder Arbeitsmarktberatung zusammen, um auch die Ursachen der Verschuldung zu adressieren.
Die Rolle der Verbraucherkreditrichtlinie
Kredite spielen in der Überschuldung eine zentrale Rolle. Mit der neuen Verbraucherkreditrichtlinie, die in Europa bis Ende 2025 umgesetzt werden muss, sollen Verbraucher*innen besser geschützt werden. Zerhusen sieht die Änderungen positiv: „Es wird klarer geregelt, wann ein Kreditvertrag zustande kommt, und Anbieter müssen besser über die Kosten aufklären.“
Besonders wichtig findet er die Einführung von Bonitätsprüfungen für Kreditnehmer*innen und Nachsichtspflichten für Kreditgeber. Kreditgeber sollen verpflichtet werden, bei Zahlungsschwierigkeiten alternative Lösungen anzubieten, bevor sie Kündigungen aussprechen. Gleichzeitig warnt Zerhusen vor einer zu strengen Umsetzung: „Wenn jemand keine Rücklagen hat und sich nicht zum Beispiel einen neuen Kühlschrank finanzieren kann, weil der alte kaputt geht, ist das problematisch. Es darf nicht dazu führen, dass Menschen von Krediten komplett ausgeschlossen werden.“
Herausforderungen für Fachberatungen
Nicht nur Schuldenberater*innen, auch Fachleute aus anderen Beratungsfeldern wie der Wohnungslosen- oder Suchtberatung kommen häufig mit dem Thema Verschuldung in Kontakt. „Die Berater*innen sind oft die ersten, die erkennen, wenn Klient*innen finanzielle Probleme haben“, sagt er. „Sie sollten in der Lage sein, erste Schritte zur Existenzsicherung einzuleiten oder an die Schuldenberatung weiter zu verweisen.“
Für Christoph Zerhusen ist die Arbeit in der Schuldenberatung durch sehr direkte, unmittelbare Rückmeldungen und Erfolge geprägt: „Man sieht sofort die Ergebnisse. Wenn eine alleinerziehende Mutter dank der richtigen Informationen ihr Weihnachtsgeld vor einer Pfändung schützen kann, hat das unmittelbare Auswirkungen. Und das sind natürlich schöne Momente, wenn man unterstützen konnte.“
Die Arbeit in der Schuldenberatung ist jedoch auch emotional belastend. „Ständig mit existenziellen Sorgen und schweren Schicksalen konfrontiert zu sein, kann an die Substanz gehen“, so Zerhusen. „Deshalb ist es wichtig, klare Grenzen zu setzen und Unterstützung wie Supervision in Anspruch zu nehmen.“ Berater*innen müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie nicht alle Probleme lösen können. „Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe, aber die Verantwortung bleibt bei den Klient*innen.“
Artikelfoto: Andrey Popov/AdobeStock
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