Für Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Verständnisproblemen sind viele Texte sehr schwer zu lesen. Leichte Sprache in Wort und Bild hilft ihnen, besser zu verstehen. Dozentin Renate Gervink erklärt im Interview, was es mit der Leichten Sprache auf sich hat.
Frau Gervink, was versteht man unter Leichter Sprache?
Leichte Sprache ist ein Konzept, das sowohl geschriebene oder gesprochene Texte und Wörter als auch Bilder betrifft. Texte und Bilder in Leichter Sprache sollen so einfach zu verstehen sein, dass Menschen, für die Texte und Sprache mit Schwierigkeiten verbunden sind, Inhalte besser verstehen. Leichte Sprache anzuwenden leistet damit einen Beitrag zur gesellschaftlichen Teilhabe. Es ist vor allem die Sprache, die Menschen von der Gesellschaft ausschließt.
Gibt es Beispiele für Sätze oder Ausdrücke in schwerer und leichter Sprache?
Der Rundfunksender MDR arbeitet schon viel mit Leichter Sprache: Er erklärt sie folgendermaßen: Schwere Sprache: „‘Leichte Sprache‘ – das ist ein Konzept, das Texte stark vereinfacht. Damit können viele Menschen mit Behinderung die Inhalte besser verstehen.“ Leichte Sprache: „Leichte Sprache ist ein Sprach-Konzept. Das bedeutet: Für Leichte Sprache gibt es einen Plan. Und für Leichte Sprache gibt es Regeln. In den Regeln steht: Wie Sie einen Text schreiben müssen. Damit viele Menschen ihn gut verstehen können.“
Welche Menschen werden durch Leichte Sprache angesprochen?
In erster Linie sind dies die sogenannten funktionalen Analphabeten. Das sind Menschen, die zwar lesen und schreiben können, die aber komplexe Sätze nicht verstehen – laut einer Studie betrifft das rund 14 Prozent der Deutschen. Somit ist die Zielgruppe relativ groß. Sie umfasst in erster Linie Menschen mit Lernschwierigkeiten, aber auch Menschen mit Migrationshintergrund, die erst angefangen haben, die deutsche Sprache zu erlernen. Oder ältere Menschen, zum Beispiel mit einer Demenz.
Manchmal ist die Leichte Sprache auch für uns alle sehr nützlich: Haben Sie nicht auch manchmal Schwierigkeiten, Texte von Behörden, Bedienungsanleitungen oder Gerichtsurteile auf den ersten Blick zu verstehen? Umso schwieriger ist dies für Menschen mit einer Beeinträchtigung.
Was macht es mit einem Menschen, wenn er Texte nicht oder nur sehr schwer versteht?
In der Regel hindert schwere Sprache viele Menschen daran, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Wer zum Beispiel den Brief vom Finanzamt oder vom Telefonanbieter nicht versteht, ist entweder permanent auf Hilfe angewiesen oder – was noch schlimmer ist – zieht sich zurück. Denn für sie wird sogar ein Museumsbesuch zu einem schwierigen Unterfangen, denn sie verstehen in der Regel die Erklärungen zu den Bildern nicht.
Sind Ihrer Ansicht nach viele Texte auf Webseiten und in Veröffentlichungen zu kompliziert formuliert?
Ja, das denke ich schon. In meinen Seminaren stoße ich immer wieder auf Texte von Einrichtungen oder Verbänden, die ich selbst zweimal lesen muss, um sie zu verstehen. Es gibt viel zu komplizierte Satzbauten, viel zu viele Fremdwörter, Passivkonstruktionen und Schachtelsätze. Das hat nicht einmal etwas mit Leichter Sprache zu tun. Bei manchen Veröffentlichungen habe ich den Eindruck, dass es die Autoren gar nicht interessierte, ob die Leserinnen und Leser sie verstehen, geschweige denn, was sie eigentlich zu lesen erwarten. Ihnen war es vor allem wichtig, zu zeigen, was sie können, ohne zu überlegen, ob es die Leser*innen auch lesen wollen.
Leichte Sprache hat auch etwas mit Wertschätzung zu tun.“
Warum ist es wichtig, dass sich zum Beispiel Unternehmen und Vereine auf ihrer Webseite oder in anderen Publikationen in Leichter Sprache äußern?
Weil sie sich damit für weitere Zielgruppen – die der Menschen mit einer Leseschwäche oder der neu zugewanderten Migrant*innen – öffnen können. Betriebe, die sich über den Mangel an Fachkräften beklagen, zum Beispiel. Oder Unternehmen der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft. Vor allem auch Sportvereine, Familienbildungsstätten und Jugendzentren. Für alle kann Leichte Sprache ein richtiger Gewinn sein. Wenn sie zum Beispiel verständliches Informationsmaterial zur Verfügung stellen, verringert sich der Bedarf an Sprechstunden oder erklärenden Gesprächen. Leichte Sprache hat aber auch etwas mit Wertschätzung zu tun.
Es gibt noch einen weiteren Vorteil. In dem Augenblick, in dem ich mein Angebot in Leichter Sprache verfasse, muss ich mich damit vollständig auseinandersetzen. Stimmt es eigentlich, was ich da schreibe? Kann ich einhalten, was ich verspreche? Leichte Sprache dient in diesem Falle auch der Selbstreflexion.
Ist es sinnvoll, eine zweite Webseite in Leichter Sprache anzulegen?
Das kommt auf die*den Anbieter*in an. Vielen Unternehmen hilft es zunächst sicherlich schon, ihre Inhalte in einfacher, leicht verständlicher Sprache zu veröffentlichen. Es gibt natürlich auch Kritik an der Leichten Sprache. Sie sei zu langweilig und kindlich und habe zur Folge, dass sich in Zukunft niemand mehr anstrengen muss, um etwas zu verstehen. Viele fürchten auch, dass diese Barrierefreiheit bei Texten auf Kosten des Informationsgehalts gehe.
Gibt es Tools oder Apps als Übersetzer in Leichte Sprache?
Ja, es gibt Websites, die einen eingegebenen Text auf die Leichte Sprache überprüfen. Dies sind zum Beispiel www.languagetool.org oder www.hurraki.de.
Zur Person
Renate Gervink leitet ein Redaktionsbüro für Werbetexte und Journalismus. Bei der Paritätischen Akademie NRW gibt sie unter anderem Seminare zu den Themen Schreiben fürs Internet und Leichte Sprache.
Artikelfoto: © lassedesignen | Fotolia
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