Sozialaktivist Ali Can engagiert sich seit Jahren gegen Rassismus. Bekannt wurde der Leiter des VielRespektZentrums Essen durch seine “Hotline für besorgte Bürger”, bei der er mit Unbekannten über ihre eigenen Vorurteile diskutierte. In einer neuen Videoserie mit der Paritätischen Akademie NRW spricht er unter anderem über Strategien gegen Diskriminierung. Im Blog-Interview erzählt er von Schlüsselmomenten, Gesprächsbereitschaft und aktuellen Projekten.
Die Videoserie wird sowohl auf diesem Blog, als auch in den Sozialen Medien veröffentlicht – jetzt anschauen:
Ali Can, Sie setzen sich schon lange aktiv gegen Rassismus ein. Gab es in Ihrem Leben einen Schlüsselmoment, in dem Sie gesagt haben, dass Sie sich dieser Aufgabe zuwenden möchten oder sogar müssen?
Als 2014 viele Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen, hat mich das emotional sehr bewegt. Ich bin mit meiner Familie aus der Türkei nach Deutschland geflüchtet, als ich noch ein Kind war. Wir waren in Deutschland jahrelang rechtlich gesehen nur geduldet. Deshalb konnte ich mich damals sehr gut in die Lage der neu ankommenden Menschen hineinversetzen und habe viel über meinen eigenen Migrationshintergrund gelernt. In den Jahren zuvor habe ich eigentlich nur versucht, mich in der Gesellschaft anzupassen. Aus der Situation im Jahr 2014 ist zwei Jahre später das erste größere Projekt entstanden, die “Hotline für besorgte Bürger”, bei der Menschen anrufen konnten, die mit mir über ihre eigenen Ressentiments gegenüber Geflüchteten und Migrant*innen sprechen konnten.
Mittlerweile ist antirassistische Arbeit zu Ihrem Hauptberuf geworden. Haben Sie sich das damals schon vorstellen können?
Ursprünglich habe ich Germanistik und Ethik auf Lehramt studiert, das war aber eher eine theoretische Vorbereitung für mein späteres Handlungsfeld. Mit den ersten Projekten habe ich gemerkt, dass meine Meinung zu den Themen Vielfalt, Miteinander und Antirassismus immer mehr gefragt ist. Ich konnte aus meiner eigenen Erfahrungswelt berichten. Schritt für Schritt wurde mir bewusst, dass ich durch meinen Input nicht nur gesellschaftlich etwas bewegen, sondern auch davon leben kann. Schließlich habe ich beschlossen, dass ich nicht mehr ewig weiterstudieren oder als Ehrenamtler nur die Hälfte meiner Ideen umsetzen möchte, sondern hauptberuflich im interkulturellen Bereich arbeiten möchte.
Bei Ihrer “Hotline für besorgte Bürger” haben Sie am Telefon mit vielen Menschen über das Thema Rassismus diskutiert. Was ist Ihr Fazit?
Ich habe einen enormen Gesprächsbedarf festgestellt. Anfangs habe ich die Hotline nur mittwochs von 14 bis 16 Uhr offen gehabt. Als das Thema durch die Medien bekannter wurde, haben die Leute auch außerhalb dieser Sprechzeit angerufen. Mein Fazit ist, dass Kommunikation und Haltung viel dazu beitragen können, dass sich Menschen für Vielfalt öffnen.
In der Öffentlichkeit finde ich es sinnvoll, umgehend zu zeigen, dass Äußerungen nicht einfach hingenommen werden. Damit die umstehenden Personen das nicht als Zustimmung werten und diskriminierende Äußerungen nicht reproduziert werden.
Gab es Momente, in denen Sie gemerkt haben, dass Menschen durch das Gespräch mit Ihnen ihr Mindset ändern und sich öffnen?
Die gab es. In der Regel ging es dabei um das Thema, warum Menschen flüchten, und dass das nicht unbedingt mit dem Status eines “nicht sicheren Herkunftslandes” zu tun haben muss. Ich habe festgestellt, dass viele Anrufer*innen die Argumentation verstanden haben, dass in einem Land nicht unbedingt den ganzen Tag die Bomben fallen müssen, damit Menschen sich zur Flucht entschließen. Sie können zum Beispiel gesellschaftlich diskriminiert werden oder möchten nicht in den Militärdienst eingezogen werden. Einige Anrufer*innen haben mir gesagt, dass sie dadurch zum Beispiel die Situation von Geflüchteten aus Afghanistan besser nachvollziehen können, obwohl sie zu Beginn des Gesprächs sehr gegen diese Menschen gewettert haben.
Woran arbeiten Sie aktuell?
Seit 2019 setzen wir mit dem VielRespektZentrum eine gemeinsame Idee mit dem Mitgründer Reinhard Wiesemann um, der durch das Unperfekthaus bekannt ist. Wir haben ähnliche Ansichten, was das Miteinander betrifft. Im VielRespektZentrum arbeiten wir an einem wertschätzenden und vielfältigen gesellschaftlichen Zusammenleben in unseren Räumen und in der Gesellschaft. Mit der VielRespektStitung fördern wir sowohl das Zentrum, als auch passende Aktivitäten von Einzelpersonen, Projekten und Organisationen in ganz Deutschland.
Außerdem habe ich zuletzt eine Virtual-Reality-Brille entwickelt, mit der man erfahren kann, wie sich diskriminierte Menschen fühlen. Man setzt die Brille auf und schlüpft dadurch in die Empfindungswelt einer Person, die virtuell unterschiedliche Arten von Diskriminierung erfährt. Mit der Brille möchte ich von Rassismus nicht betroffene Menschen dafür sensibilisieren, was anderen Personen widerfährt und wie sie sich dabei fühlen (müssen). Diese Brille kommt zum Beispiel in antirassistischen Seminaren zum Einsatz, damit Teilnehmende lernen, wie sie besser eingreifen können. Erste Seminare sind super gelaufen, die Teilnehmenden waren durch den Rollenwechsel, durch den Empathie gestärkt wird, sehr emotional!
Zuletzt haben wir uns im Kontext der anstehenden Bundestagswahl dafür engagiert, dass sich Deutsche mit Zuwanderungsgeschichte an der Wahl beteiligen. Das Projekt heißt #wAlman.
Sie wirken in Ihren Ausführungen oft sehr besonnen und betonen, dass Sie den Menschen generell das Gespräch anbieten möchten. Wann regen Sie sich selbst auf oder beenden Gespräche?
Wenn von Gesprächspartner*innen nur Beleidigungen kommen, ziehe ich die Grenze. Auf dieser Basis kann ich nicht mehr mit Menschen diskutieren. Wichtig ist mir, zwischen einer persönlichen und öffentlichen Situation zu unterscheiden. Im persönlichen Gespräch sehe ich Dinge schon einmal im Gesamtkontext und widerspreche nicht sofort. In der Öffentlichkeit finde ich es hingegen sinnvoll, umgehend zu zeigen, dass Äußerungen nicht einfach hingenommen werden. Damit die umstehenden Personen das nicht als Zustimmung werten und diskriminierende Äußerungen nicht reproduziert werden.
Zur Person
Ali Can, Jahrgang 1993, ist Sozialaktivist und Autor. Er gibt Lesungen und macht interkulturelle Trainings. Sein letztes Buch trägt den Titel “Mehr als eine Heimat. Wie ich Deutschsein definiere”. In seiner Arbeit sucht er immer wieder das Gespräch mit Menschen. “Rassismus mit Liebe begegnen” ist eines seiner Mottos.
Haben Sie den Eindruck, dass die Gesellschaft diskriminierungsfreier wird? Oder eher umgekehrt?
Ich habe das Gefühl, dass sich auf der einen Seite immer mehr Menschen antirassistisch engagieren. Viele Geflüchtete und Migrant*innen merken, dass sie eine Stimme haben, und setzen diese ein. Auf der anderen Seite stelle ich fest, dass eine bestimmte Gruppe an Menschen ihre Meinungen sehr lautstark hinaus trägt. Rechtspopulist*innen und Demagog*innen sind sehr stark darin, den Diskurs bestimmen zu wollen. Weil ich den Eindruck habe, dass sie aber auch viel mehr Gegenwind bekommen, glaube ich, dass sich die Gesellschaft positiv verändert.
Sie haben eine Ausbildung zum interkulturellen Trainer bei der Paritätischen Akademie NRW besucht. Welche neuen Aspekte konnten Sie daraus für Ihre Arbeit mitnehmen?
Ich hatte vor der Ausbildung bereits viele Seminare gegeben und Trainer*innen einzeln gecoacht. Dabei hatte ich immer meinen eigenen Ansatz, mein Wissen, das durch handfeste Projekte zustande kommt, nicht durch verstaubte Bücher. Bei den Trainings habe ich zu meinen eigenen Methoden noch eine Reihe weiterer Methoden kennengelernt, die ich spannend finde.
Außerdem war der kollegiale Austausch sehr interessant. Erneut zu erkennen, dass Menschen mit einem anderen beruflichen und persönlichen Hintergrund ähnliche Probleme haben – und wie sie sie lösen – war für mich genauso ein Aha-Effekt wie zu erkennen, dass andere Menschen noch ganz andere Probleme haben als man selbst.
Artikelfoto: Jan Ladwig
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