Der Berater und Coach Jochen Schneider rät Arbeitgebern im sozialen Bereich zum Perspektivwechsel, um Fachkräfte zu gewinnen. In unserem Interview erklärt er: Wie ein Unternehmen auf Bewerber*innen wirkt, ist entscheidend für die gemeinsame Zukunft.
Jochen Schneider, was versteht man unter dem Begriff „Candidate Journey“?
Hinter jeder Candidate Journey steckt ein Perspektivwechsel. Man versetzt sich in die Menschen hinein, die zu Bewerber*innen werden – das kann vom ersten Kontakt bis zu den ersten Arbeitstagen gehen. Der Begriff bildet diese “Kandidatenreise” ab. Der Perspektivwechsel ist sehr hilfreich für die Unternehmen, um zu erkennen, was mögliche Bewerber*innen vom Arbeitgeber erwarten. Dabei gibt es mehrere Kontaktpunkte. Eine Person kann zum Beispiel zunächst auf einer Fachkräftemesse mit dem Unternehmen in Berührung gekommen sein. Anschließend möchte die Person gern mehr wissen und sucht nach einer Karrierewebseite des Unternehmens deshalb rate ich dazu, eine anzulegen. Ansonsten wird auf jeden Fall die Internetseite angesehen.
Wenn sich der Auftritt des Unternehmens vom ersten Kontaktpunkt wie ein roter Faden durchzieht, bekommen mögliche Bewerber*innen einen stringenten, professionellen Eindruck. Brüche in dieser Reise können hingegen abschreckend wirken. Arbeitgeber, die diese Reise im Perspektivwechsel nachvollziehen, können solche Brüche entdecken und ihr Erscheinungsbild entsprechend verbessern.
Muss ein Unternehmen einen Leitfaden für die Candidate Journey haben?
Es ist wichtig, dass ein Unternehmen einheitlich auftritt. Drei Aspekte sind besonders wichtig im Bewerbungsvorgang: Schnelligkeit, Transparenz und Wertschätzung. Das Unternehmen sollte einfache Möglichkeiten bereitstellen, um sich bewerben zu können. Eine schnelle, transparente Rückmeldung, wie es nach der Bewerbung weitergeht, ist der nächste Schritt. Auch eine Absage zu verschicken, gehört dazu. Wertschätzung kann sich in vielen Momenten widerspiegeln – von der zügigen Rückmeldung bis zum Empfang beim Bewerbungsgespräch.
Personalverantwortliche können die Candidate Journey für ihr Unternehmen konzipieren und mit neu eingestellten Mitarbeiter*innen anschließend in die Bewertung gehen. Rückmeldungen von neu eingestellten Mitarbeiter*innen sind meines Erachtens eine ungeheuer wertvolle Quelle, um die Candidate Journey im eigenen Unternehmen bewerten und verbessern zu können. Dabei hilft es zum Beispiel, Fotos von Messeständen oder Screenshots von Karrierewebseiten etc. zu machen und den neuen Kolleg*innen vorzulegen.
Warum soll ein soziales Unternehmen sich diesen Aufwand machen?
Mit einem realistischen Blick auf die Ressourcen lohnt sich der Perspektivwechsel auf jeden Fall. Bewerber*innen sind heute aufgrund des Fachkräftemangels in der Regel in der aussuchenden Position. Selbst Kleinigkeiten können sich entscheidend auf den Eindruck auswirken, den Bewerber*innen von einem Arbeitgeber haben.
Zur Person
Diplom-Pädagoge Jochen Schneider ist als systemischer Organisationsberater und Coach aktiv. Personalentwicklung und Führung zählen zu seinen Themenschwerpunkten. Für die Paritätische Akademie NRW gibt er Seminare zu Personalthemen.
Welche Rolle spielt das Bewerbungsgespräch in der Candidate Journey?
Das direkte Gespräch bleibt das A und O in der Bewerbungsphase. Gleichzeitig haben sich auch hier die Vorzeichen verändert. Früher stand das Gespräch für viele Unternehmen unter dem Motto, „Wir prüfen, ob ein*e Bewerber*in für uns geeignet ist“. Heute muss ich außerdem dafür werben, was das Unternehmen attraktiv macht. Es ist nicht nur wichtig für die spätere Zusammenarbeit, sondern auch ein Zeichen von Wertschätzung, herauszufinden, was die Bewerber*innen sich in ihrem Berufsalltag vorstellen. Das alles in einem Gespräch einzubinden, ist eine echte Herausforderung, und hat Auswirkungen auf die Gestaltung des Interviews. Das sollte in bestimmten Etappen zu einzelnen Zielen führen und sowohl das Unternehmen darstellen, als auch herausfinden, ob eine Person als neue*r Mitarbeiter*in geeignet ist.
Was ist wichtig für den Kontakt nach dem Bewerbungsgespräch?
Transparenz und Verlässlichkeit sind wichtig – klar zu kommunizieren, bis wann die Entscheidung fällt und welche weiteren Schritte folgen. Es kann helfen, auch nach einer Zusage bis zur Vertragsunterzeichnung den Kontakt aufrecht zu halten. Schließlich befinden sich die Unternehmen in einer Konkurrenzsituation und laufen Gefahr, dass ein*e Bewerber*in noch abspringt. Ein Anruf mit weiteren Infos oder eine Postkarte von der Abteilung, die sich auf die Zusammenarbeit freut, kann viel ausmachen und von Anfang an ans Unternehmen binden. Ebenso das Onboarding, denn starke Anfänge schaffen langfristige Bindung von neuen Mitarbeiter*innen.
Kommentieren