Was müssen soziale Träger beachten, wenn sie Wohnraum an Klient*innen weitervermieten? Rechtsanwalt Benjamin Raabe spricht in unserem Interview über angespannte Wohnungsmärkte, rechtliche Rahmenbedingungen und Lösungen bei Problemen mit Eigentümern.
Herr Raabe, wieso ist es gesellschaftlich wichtig, dass gemeinnützige Vereine auf dem Wohnungsmarkt aktiv sind?
Weil in angespannten Wohnungsmärkten Randgruppen schnell beiseite gestoßen werden. Eigentümer*innen schauen nach Wohnungen für gut situierte Menschen oder den Mittelstand. Diese werden besser vermarktet als Wohnungen für die Klientel, die bei den sozialen Trägern angedockt ist. Sie gilt als schwierig und weniger zahlungskräftig. Deshalb ist es sehr wichtig, dass freie Träger für diese Menschen Wohnraum zur Verfügung stellen – ob es nun mit Betreuung ist, als Zwischenvermieter*in oder in ganz anderer Form.
Warum ist der Markt im Bezug auf soziale Wohnungen Ihrer Meinung nach angespannt?
Seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, gibt es eine Landflucht. Die Menschen drängen in die Ballungszentren, weil es dort Arbeit gibt und die Versorgung eher gewährleistet ist, zum Beispiel durch Ärzt*innen, kulturelle Einrichtungen und Bildungseinrichtungen. In den Städten gibt es also einen starken Bevölkerungszuwachs. Naturgemäß kommt die Bautätigkeit nicht hinterher, zumal der Boden begrenzt ist. Wenn viele Leute auf den Wohnungsmarkt drängen, habe ich also schnell ein Problem.
Am Markt bedeutet das, dass der- oder diejenige die Wohnung bekommt, der*die am meisten zahlt. In dem Fall muss man sehen, wie man die anderen versorgt, die nicht einziehen können. Beim Wohnen ist es nicht so wie beim Auto oder anderen Gütern. Darauf können Menschen nicht verzichten. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesellschaft Wohnraum für alle zur Verfügung stellt – sei es durch soziale Wohnungsbauprogramme, Förderung von Neubau oder Regulierung von Miethöhen.
Gibt es Möglichkeiten, Eigentümer*innen oder Investor*innen zum Bau von Sozialwohnungen zu bewegen?
Nur sehr begrenzt. Der Staat kann hier eine Förderung zur Verfügung stellen. Ob der private Investor diese dann abruft, bleibt seine Entscheidung. Eine wichtige staatliche Förderung in Deutschland war traditionell der soziale Wohnungsbau, der insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg wesentlich zur Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen beigetragen hat. Die Programme wurden aber immer mehr zurück gefahren. In den 1980er Jahren gab es etwa vier Millionen Sozialwohnungen, heute weniger als eine Million.
Traditionell gab es allerdings in Deutschland auch den gemeinnützigen steuerbegünstigten Wohnungsbau, der in der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand. Gerade in den 1920er Jahren, aber auch nach dem Krieg schuf und unterhielt er Wohnraum für breite Bevölkerungsschichten. Leider ist dieses Modell Ende der 1980er Jahre in Deutschland abgeschafft worden. Es gibt derzeit Bestrebungen, dieses Modell zu reaktivieren, Stichwort neue Gemeinnützigkeit. Es wäre schön, wenn sich die Politik hier bewegen könnte. Als dritte Säule gibt es die kommunalen Wohnungsunternehmen, die auch nach sozialen Kriterien Mieter*innen auswählen. In den 2000er Jahren wurde hier viel verkauft.
Unterm Strich kann man sagen, so viel freier Markt wie derzeit gab es im Wohnungssektor seit anderthalb Jahrhunderten nicht. Das heißt, dass es derzeit wenig Steuerungsmöglichkeiten für den Staat gibt und eher die privaten Eigentümer*innen gefragt sind. Plakativ kann man sagen, dass der Kapitalismus an dieser Stelle versagt, denn im Sinne von Gewinnmaximierung kann man arme Bevölkerungsschichten nicht mit Wohnraum versorgen.
In welchen Fällen treten Vereine als Vermieter auf?
Zunächst einmal sind Vereine nicht dazu da, um das Problem des fehlenden Wohnraums zu lösen. Das können sie nicht leisten. Ihre Aufgabe ist es, eine spezielle, bedürftige Klientel zu unterstützen. Dafür werden sie auch bezahlt. Für diese Personen geht es nicht nur darum, Wohnraum zu bekommen, sondern auch versorgt zu werden. Darum kümmert sich der Träger meist im Paket mit. Es geht um Menschen, die in irgendeiner Form Schwierigkeiten haben – sei es ein Jugendhilfebedarf, eine Behinderung, eine Sucht, ein Pflegebedarf oder finanzielle Probleme.
Ist es erlaubt, als Mieter*in an Klient*innen unterzuvermieten?
Grundsätzlich kann ich das machen, wenn ich die Erlaubnis von der*dem Vermieter*in habe. Es gibt dazu verschiedene Modelle. Wenn ein sozialer Träger Wohnraum anmietet, um ihn weiterzuvermieten, und zum Beispiel nur Pflege- oder Betreuungsleistungen vermittelt oder junge Menschen betreut, wäre es ein ganz normaler Vertrag nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB).
Dann gibt es Verträge nach dem Wohn- und Betreuungsgesetz (WBVG), die beinhalten, dass Träger neben der Vermietung von Wohnraum auch Betreuungsleistungen erbringen. Dafür gibt es noch stärkeren Schutz für die Bewohner, da diese hierauf ja besonders angewiesen sind. Die Träger genießen seit Anfang des Jahres 2019 mehr Schutz auf dem Markt. Vermieten sie Räume an ihre Klient*innen, gilt bei neuen Verträgen ein Teil der wohnraumschützenden Vorschriften auch für sie. Früher wurde ihnen auf angespannten Wohnungsmärkten leicht mal gekündigt, das hat sich durch die neue Rechtslage geändert.
ZUR PERSON
Benjamin Raabe ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht. “Mietrecht interessiert mich als sozial wichtiges Thema – ähnlich wie das Arbeitsrecht. Politik hat mich immer interessiert. Im Mietrecht kann man als Anwalt einiges bewirken und den Leuten helfen, die Probleme haben”, sagt Raabe über einen seiner Schwerpunkte. Bei der Paritätischen Akademie NRW gibt er Seminare zum Thema “Der Verein als Mieter und Vermieter von Wohnraum”.
Was müssen Vereine unbedingt bedenken, wenn sie Wohnraum vermieten?
Wenn ich als Träger anmiete, sollte ich beachten, dass ich eine entsprechende Sicherheit vor Kündigungen und Mieterhöhungen habe. Da ich mich grundsätzlich im Gewerberaum-Mietrecht bewege, ist für Eigentümer*innen trotz des gestiegenen Mieterschutzes immer noch viel möglich. Wenn ich Wohnraum an zu betreuende Personen weiter vermiete, muss ich beachten, dass es über das WBVG relativ starke Reglementierungen bei einer “Vollversorgung” gibt. Ich sollte zudem eine Regelung treffen, die es mir ermöglicht, den Wohnraum neu vergeben zu können, wenn die Betreuung ausläuft. Das gilt auch dann, wenn sich der Vertrag mit der*dem Bewohner*in nach dem BGB richtet.
Man sollte sich ebenfalls Gedanken über die Höhe der Miete machen. Kann ich eventuelle Mietsteigerungen der Immobilie weitergeben? Kann diese Erhöhung – zum Beispiel von den Sozialleistungsträgern – bezahlt werden? Wie werden generell die Kosten für die Miete verteilt? Wie ist die Nutzung der Wohnung geregelt? Solche Fragen müssen geklärt sein.
Welche Probleme können im Verhältnis zur*zum Vermieter*in auftreten?
Nehmen wir das Beispiel einer Wohngruppe sich problematisch verhaltender Jugendlicher, die eventuell Partys feiern, Einrichtung kaputtmachen oder ähnliches. Das ist für Vermieter*innen natürlich nicht sonderlich attraktiv. In Zeiten, in denen die Wohnungsmärkte noch nicht angespannt waren und es viel Leerstand gab, waren soziale Träger gern gesehen. Sie haben die Immobilien oft renoviert, um ihrer Klientel ein ansprechendes Umfeld zu bieten – und es gab festes Einkommen für die Eigentümer*innen. Wenn man allerdings mehr Geld von einer*einem vermeintlich ruhigen, privaten Mieter*in bekommen kann, werden soziale Träger schnell zweite Wahl.
Wenn es Schwierigkeiten gibt – was raten Sie den Vereinen?
Menschen, die bei sozialen Trägern arbeiten, sind in der Regel sehr kommunikativ und können ihre Angelegenheiten direkt mit der*dem Vermieter*in regeln. Nach meiner Erfahrung sollte man zunächst immer schauen, dass man die Sache ohne anwaltliche Hilfe regelt. Je weniger Wunden geschlagen werden, desto weniger müssen heilen, und das Verhältnis kann stabil bleiben. Wenn man sich allerdings unsicher ist, sollte man in jedem Fall rechtliche Beratung suchen.
Artikelfoto: ArTo-Fotolia
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