Vernetzen? Gespräche suchen? Angebote entwickeln? Wie arbeitet eigentlich ein*e Quartiersentwickler*in? Die Kölnerin Claudia Lamsfuß ist seit Jahren im Quartier tätig und berichtet über den Weg zum Aufschwung im Viertel.
Quartiersentwickler*innen machen sich zunächst ein Bild vom Stadtteil, seinen Akteur*innen und den Potenzialen. So unterschiedlich die Menschen in einem Quartier sind, so unterschiedliche Fachbereiche gibt es – zum Beispiel die Jugend-, Senior*innen-, oder Behindertenhilfe. „Letztendlich geht es in der Quartiersentwicklung aber immer um einen gemeinwohlorientierten Ansatz“, sagt Claudia Lamsfuß, die seit Jahren als Quartiersentwicklerin arbeitet. Es geht darum, dass die Lebensqualität aller Bewohner*innen steigt, und dass gerade benachteiligte Stadtteile insgesamt eine Perspektive bekommen. Oft seien in den Quartieren die handelnden Akteure nicht stark genug miteinander vernetzt. Synergien werden dadurch nicht genutzt. Hier greifen Quartiersentwickler*innen ein: Sie analysieren, wie Menschen zusammenleben, welche sozialen Netzwerke es gibt und welche Maßnahmen erforderlich sind.
Der Fokus von Claudia Lamsfuß‘ täglicher Arbeit liegt aktuell stark auf der Senior*innenarbeit. Dafür nennt die Diplom-Sozialarbeiterin vier Ziele:
- Den Zusammenhalt, die Gemeinschaft, das soziale Umfeld stabilisieren
- Die Infrastruktur stärken, zum Beispiel in Sachen Barrierefreiheit, Erreichbarkeit, Wohnraum
- Die Angebote zur Unterstützung ausbauen, zum Beispiel niedrigschwellige Hilfen, aber auch der Gesundheitsversorgung
- Pflege- und Gesundheitsangebote ermöglichen
Hebel in Bewegung setzen
„Wir haben eine individualisierte Gesellschaft. Das Bedürfnis, wieder mehr in Kontakt zu treten, ist gestiegen. Ich erlebe aber auch eine gewisse Hilflosigkeit, wie das geschehen kann“, sagt Claudia Lamsfuß. „Was soll ich mit den jungen Leuten in meiner Nachbarschaft reden?“, sei eine häufig gestellte Frage. Dann müsse man als Quartiersentwickler*in Ankerpunkte finden, wie man Menschen erreicht und sie zusammenbringt. Das sei auch nicht einheitlich zu beantworten, sondern komme stark auf das Quartier an.
Wenn in einem Quartiersentwicklungsprozess Missverständnisse zwischen den Generationen zur Sprache kommen und gemeinsam gelöst werden, ist der erste Erfolg geschafft. Die Menschen im Quartier seien oft sehr herzlich und kämen der Quartiersentwicklerin entgegen, berichtet sie. „Mich berührt es sehr, wie dankbar die Menschen sind, wenn Sie merken, dass man sich für sie einsetzt. Dann entstehen sehr unmittelbare Erlebnisse“, sagt Claudia Lamsfuß. Mit dieser direkten Beziehungsarbeit hat ihre Aufgabe ebenso zu tun wie mit der Entwicklung der Gesamtstruktur.
Ein Patentrezept gäbe es nicht, wohl aber einige Hebel, die in Bewegung gesetzt werden könnten. Wichtig sei es, Impulsangebote zu machen, offen mit den Menschen in Kontakt zu treten, ihnen geduldig zuzuhören, und zu versuchen, zu erspüren, was der nächste Schritt ist. Dazu müssen Daten gesammelt werden, aus denen hervorgeht, was die Menschen brauchen. Es hilft, schnell ein Netzwerk aufzubauen und sich Partner*innen für gemeinsame Aufgaben zu suchen. Oft reagieren die Menschen auf solche Aufrufe mit eigenen Ideen. Ziel ist es, die Leute im Quartier zu aktivieren, damit sie ihre eigenen Lebensbedingungen selbst verbessern können.
Menschen, die schwer pflegebedürftig sind oder waren, waren quasi gezwungen, ein Stück weit ihre Heimat zu verlassen.“
Für den Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe ist Claudia Lamsfuß als Quartiersentwicklerin im Einsatz. Seit Sommer 2015 betreut sie das Quartier Bonn-Dransdorf. Dort habe es zuvor kaum explizite Angebote für Seniorinnen und Senioren gegeben. Der Stadtteil wurde zwar von Pflegediensten angefahren, „aber Menschen, die schwer pflegebedürftig sind oder waren, waren quasi gezwungen, ein Stück weit ihre Heimat zu verlassen“. Pflegethemen wurden weniger öffentlich als in der Familie behandelt. Schon früh nach ihrem Einstieg hat Claudia Lamsfuß deshalb angeregt, einen Betreuungsdienst bzw. Entlastungsdienst im Viertel einzurichten. Er dient dazu, sowohl die Pflegebedürftigen als auch die Angehörigen auf niedrigschwelliger Ebene zu entlasten – zum Beispiel in den Bereichen Betreuung, Begleitung, Einkäufe, Arztbesuche.
Zum 1. Januar 2017 wurde der Dienst gegründet, „mit gutem Erfolg, wir bekommen gute Rückmeldungen von den Krankenkassen“, wie die Quartiersentwicklerin bilanziert. Da die Gründung eines eigenen Entlastungsdienstes aus dem Stand nicht einfach ist, rät Claudia Lamsfuß auch zu Kooperationen mit örtlichen Pflegediensten. Allgemein sieht die Expertin noch großes Entwicklungspotenzial bei der Vernetzung zu Akteuren im Gesundheitswesen. Die Quartiersentwicklung kann auch für diese Akteure ein Impulsgeber sein, um die Menschen vor Ort und ihre Bedürfnisse kennenzulernen.
In den letzten Jahren habe sich der Arbeitsbereich weiterentwickelt. „Während man vor zwei, drei Jahren noch sagen konnte, dass man in der altersgerechten Quartiersentwicklung arbeitet, muss man heute erklären, in welchem Bereich man dort tätig ist. Es gibt mittlerweile verschiedenste Förderlinien zur Quartiersentwicklung“. Zum Beispiel „Starke Menschen, starke Quartiere“, ein Projekt, das durch Mittel der Landesregierung und der Europäischen Union gefördert wird. Der Schwerpunkt liegt auf der präventiven und nachhaltigen Entwicklung von Stadtquartieren und darauf, Armut und Ausgrenzung zu bekämpfen. „Insgesamt schätze ich, dass die Quartiersentwicklung auch in Zukunft ein wichtiges Thema bleibt, weil die ambulanten Strukturen sowohl in der Alten- als auch der Behindertenhilfe stärker gefordert und entsprechend gesetzlich verankert werden“, sagt Claudia Lamsfuß. Viele Menschen wollen nicht mehr in ein Alten- oder Pflegeheim, sondern möglichst lange selbstständig in ihrem Zuhause wohnen bleiben.
Zur Person
Die Diplom-Sozialarbeiterin Claudia Lamsfuß ist Fachreferentin für Wohnen im Alter beim Paritätischen NRW. Seit 2009 ist sie in der Quartiersentwicklung tätig.
Artikelfoto: © privat
Kommentieren