Anderen helfen und etwas zurückgeben: Das ist der Wunsch vieler Geflüchteter, die in Deutschland Zuflucht gefunden haben. Wie sich dies mit einer guten beruflichen Perspektive verbinden lässt, zeigt der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e.V.
Es ist ein ruhiges Gespräch. Fast schüchtern sprechen Mohzhgan Noori (31, Foto 2.v.l.) und Amina Mohamadie (22, Foto 2.v.r.), leise und bedacht. Sie kommen beide aus Afghanistan und sind seit etwa zwei Jahren in Deutschland. Die beiden Frauen mussten mit ihren Familien aus ihrer Heimat fliehen. Die Ereignisse in Afghanistan und die Flucht haben Spuren hinterlassen und es fällt ihnen nicht leicht, über das Erlebte zu reden. Sie sprechen von Toten unter den Familienmitgliedern und bezeichnen die Lage in dem zentralasiatischen Land als Krieg. Auszuhalten war es nicht mehr.
„Wir haben viele schlechte Erfahrungen in Afghanistan machen müssen. Sicher zu sein ist sehr wichtig, und selbst als ich Kind war, hat es schon Krieg gegeben. Ich wollte nicht, dass meine Kinder diese Erfahrungen machen müssen. Und ich wollte sie auch nicht alleine lassen”, sagt Mohzghan Noori, die sich als Hausfrau und Mutter um ihre vier Kinder gekümmert hat. Amina Mohamadie ist Mutter eines Kindes und hat als Grundschullehrerin gearbeitet. Heute leben die beiden Frauen in Bonn-Bad Godesberg.
Viel „Power“, aber sprachlicher Nachholbedarf
Getroffen haben sie sich beim Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e.V., der seit 2015 das Projekt „Stark im Beruf – Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ mit mittlerweile 149 Teilnehmerinnen durchführt. Das Projekt wird gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union. Das Teilprojekt „Angekommen in Deutschland“ an dem außer Mohzhgan Noori und Amina Mohamadie noch 18 weitere geflüchtete Frauen teilnehmen, läuft seit Oktober 2017. Ziel beider Projekte ist die Förderung von Müttern mit Migrationshintergrund und ihre berufliche Qualifizierung.
Der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e.V. ist Träger eines Fachseminars für Altenpflege sowie Anbieter von Weiterbildungen in Pflege- und Gesundheitsberufen. Darüber hinaus hat sich der gemeinnützige Verein auf die Fahne geschrieben, aktiv gegen den Fachkräftemangel in der Pflege vorzugehen und sich damit einem gesamtgesellschaftlichen Problem in Deutschland zu stellen. Die berufliche Integration von Geflüchteten bietet jedoch nicht nur die Möglichkeit, Fachkräfte für die Pflege zu akquirieren; sie eröffnet ihnen außerdem die Chance, sich beruflich zu orientieren und bei Interesse eine sinnvolle Tätigkeit mit Aufstiegsperspektive als Fachkraft in der Pflege zu ergreifen. Mit diesem Ansatz ist der Bonner Verein bereits seit Beginn des Projektes „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ sehr erfolgreich.
„Doch auch schon früher, 2009, haben wir festgestellt, dass wir eine Reihe von Schüler*innen mit Migrationshintergrund dabei hatten, die mit viel Power ihre Ausbildung gemacht haben – obwohl sie in Sachen Sprache einiges nachholen mussten. Zunächst haben wir an einem Freitagnachmittag einen freiwilligen dreistündigen Deutschkurs für die Pflege angeboten, der auch heute noch läuft”, sagt die Geschäftsführerin des Vereins, Edith Kühnle (Foto links). Dies war der Startpunkt für mehrere Projekte, die auch heute noch sehr erfolgreich sind. Für das Konzept zu „Angekommen in Deutschland” wurde die Einrichtung mit dem Special Impact Award, einer Initiative von KfW Stiftung und Social Impact ausgezeichnet. Für das Projekt „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein” gab es den dritten Platz beim Berliner Gesundheitspreis.
Die innere Haltung, die wir mitbringen, ist wichtig. Auch wenn die Frauen zunächst kein Deutsch können, bringen sie sehr viel Potenzial mit. Dass wir ihnen eine Menge zutrauen und sie für klug und lernbegierig halten, merken die Frauen und es strahlt auf sie ab.”
Edith Kühnle, Geschäftsführerin
Eines der Erfolgsgeheimnisse ist die langfristig angelegte Bildungskette, die die Teilnehmer*innen im Haus durchlaufen können. Kontinuität und die enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Frauen sorgen für optimale Ergebnisse. Dazu gehört Deutschunterricht, niederschwellig beginnend bei dem Projekt „Einstieg Deutsch”, in dem die Teilnehmenden das Wichtigste für die Kommunikation im Alltag erlernen, geht weiter mit „Angekommen in Deutschland“, das das Sprachniveau A2 ermöglicht bis hin zu „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein“ mit dem sprachlichen Abschluss B1.
Danach haben die Teilnehmer*innen die Möglichkeit, entweder eine Ausbildung zu beginnen oder den Hauptschulabschluss nachzuholen, der außerdem Basisqualifizierungen Pflege / Hauswirtschaft / zusätzliche Betreuungskraft oder die Basisqualifizierung Kinderbetreuung / Hauswirtschaft beinhaltet. Im Anschluss daran können sie die Ausbildungen zur*zum Altenpflegehelfer*in bzw. zur*zum Altenpfleger*in beginnen. Hier lernen die Teilnehmenden alles von der Grundpflege über die Wahrnehmung und Beobachtung von Patient*innen und die wertschätzende Kommunikation bis zu medizinischen Grundlagen, zum Beispiel zu Krankheitsbildern. „Nach diesem langen Weg stehen Pflegefachkräften viele Möglichkeiten der Aufstiegsqualifizierung und diverse Fortbildungen offen. Wer Lust am Lernen hat und Karriere machen will, kann es bis zur Pflegedienstleitung schaffen oder sogar studieren”, sagt Projektleiterin Heidemarie Jeep (Foto rechts).
Gerade das Projekt „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein” habe gezeigt hat, dass der Weg des Vereins funktioniert. „Die innere Haltung, die wir mitbringen, ist wichtig. Auch wenn die Frauen zunächst kein Deutsch können, bringen sie sehr viel Potenzial mit. Manche von ihnen sprechen fünf Sprachen. Dass wir ihnen eine Menge zutrauen und sie für klug und lernbegierig halten, merken die Frauen und es strahlt auf sie ab”, erklärt Edith Kühnle. Dazu kommt die individuelle Betreuung, nicht nur im fachlichen, sondern auch im sozialen Bereich. Die Frauen fühlen sich wohl und wissen, dass sie mit ihren Sorgen kommen können. Die 149 Teilnehmerinnen, die seit März 2015 bei „Mütter mit Migrationshintergrund steigen ein” mitgemacht haben, kommen aus 36 verschiedenen Ländern – von Bangladesh über Litauen bis Kenia.
Kinderbetreuung ist ein Schlüssel zum Erfolg
„Eine Sorge beim Projektstart war: Passt das Konzept überhaupt? Und es funktioniert. Ich finde es faszinierend, dass die unterschiedliche Herkunft und Geschichte überhaupt keine Rolle spielt. Man spricht miteinander und es gibt überhaupt keinen Streit”, freut sich Edith Kühnle. Die ähnliche Lebenssituation – aus einem fremden Land zu sein und Kinder zu haben – verbindet. 83 Frauen sind aktuell im Projekt und dabei, ein- oder dreijährige Ausbildungen in der Altenpflege abzuschließen. „Bei Abschluss der letzten Ausbildung zur Altenpflegehelferin kam die beste Teilnehmerin aus dem Projekt”, sagt Heidemarie Jeep. Eine Teilnehmerin schloss die Ausbildung mit der glatten Note 1 ab und befindet sich mittlerweile in der dreijährigen Ausbildung.
Viele Geflüchtete steigen beim Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe ein, weil sie von ehemaligen Schüler*innen von den zahlreichen Möglichkeiten hören. Einige von ihnen sind dem Verein auch nach der Ausbildung noch als Mentorinnen verbunden. Sie agieren als Vorbilder, die es trotz eines schweren Weges in Deutschland geschafft haben. Da es sich größtenteils um Mütter handelt, die an den Projekten teilnehmen, ist ein Punkt besonders wichtig: In vielen Fällen bietet der Verein eine Kinderbetreuung an. Das ist für Mütter und Kinder oft ungewohnt, da es eine Kinderbetreuung durch Nicht-Familienangehörige in anderen Ländern oft nicht gibt. Dort basteln Kinder sich ihr Spielzeug selbst, die Mädchen helfen beim Kochen.
Auch wenn der Bonner Verein den Teilnehmer*innen größtmögliche Unterstützung zukommen lässt, gibt es immer wieder auch Rückschläge. Zum Beispiel wenn es um den Aufenthaltsstatus der Teilnehmer*innen geht. Immer wieder sollen Projektteilnehmer*innen abgeschoben werden – auch dann, wenn sie schon einen festen Arbeitsvertrag für eine Pflegeausbildung haben. „Das ist für alle natürlich sehr schwierig. Wir haben die Menschen begleitet und kennen ihre Familien und Geschichten. Die Belastung durch diesen Druck ist sehr hoch”, sagt Heidemarie Jeep. Der Verein erkundet dann die rechtlichen Rahmenbedingungen, um den Frauen eine Perspektive in Deutschland zu ermöglichen.
Mohzghan Noori und Amina Mohamadie wollen beide eine Perspektive haben – und eine Aufgabe. „Ich möchte richtig Deutsch lernen und bald als Arzthelferin oder Erzieherin arbeiten”, sagt Amina Mohamadie. Man spürt, dass die beiden Frauen am liebsten schon heute in ihren neuen Beruf einsteigen würden: „Ich möchte den Menschen als Altenpflegerin helfen, das finde ich wichtig”, sagt Mohzghan Noori. Auch sie möchte etwas zurückgeben.
Zusammenarbeit
Der Bonner Verein für Pflege- und Gesundheitsberufe e.V. wurde 2001 gegründet. Aktuell arbeiten 38 festangestellte Mitarbeitende sowie zahlreiche Honorardozent*innen für den Verein. Über die Arbeit von welcome@healthcare, der Koordinierungsstelle für Geflüchtete in Pflege- und Gesundheitsfachberufe NRW ist der Verein auch mit der Paritätischen Akademie NRW verbunden.
Die Koordinierungsstelle stellt wichtige Informationen und Materialien zum Thema bereit, berät Akteur*innen aus den relevanten Arbeitsfeldern und unterstützt bei der Netzwerkarbeit. Ziel ist es, Geflüchtete für die Gesundheits- und Pflegeberufe zu gewinnen und zu qualifizieren. Damit trägt die Koordinierungsstelle zur Bewältigung zweier gesellschaftlich relevanter Herausforderungen bei: zur beruflichen Integration von geflüchteten Menschen und zur Fachkräftesicherung im Arbeitsfeld Pflege und Gesundheit.
Artikelfoto: Geschäftsführerin Edith Kühnle (links) und Projektleiterin Heidemarie Jeep (rechts) mit den Kursteilnehmerinnen Mohzhgan Noori und Amina Mohamadie (Mitte, von links). © Redaktion Bildung erleben
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