Warum ist die Praxisanleitung in der Kindertageseinrichtung ein wichtiger Baustein? Ein Gespräch mit Andrea Boulhend, Leiterin der Integrativen Kindergemeinschaft Bochum e.V., über passende Konzepte zur Arbeit mit Praktikant*innen.
Frau Boulhend, was versteht man unter der Praxisanleitung in der Kindertageseinrichtung?
In Kindertageseinrichtungen werden verschiedene Formen von Praktika angeboten. Das sind auf der einen Seite Block- und Tagespraktika während der Fachschulausbildung, in der Praxisintegrierten Ausbildung (vergleichbar mit einem dualen Studiengang), sowie das Berufsanerkennungsjahr, in dem wir über ein Jahr lang angehende Erzieher*innen begleiten. Auf der anderen Seite begrüßen wir immer mehr Studierende von den Fachhochschulen, die sich für die Richtungen Heilpädagogik oder Frühpädagogik entschieden haben, und die für eine gewisse Zeit in der Kita als Praktikanten tätig sind.
In der Kindertageseinrichtung überlegen wir uns, was wir von der*dem Praktikant*in erwarten. Wir fragen uns, wo er oder sie aktuell steht und wie wir die zuvor gelernte Theorie mit der Praxis verknüpfen können. Dann begleiten wir den- oder diejenige im Lernprozess. Das ist unsere Aufgabe.
Wie wichtig ist die Praxisanleitung in Ihrem Berufsfeld?
Wir bilden die Kolleginnen und Kollegen von morgen aus. Wir brauchen in unserer Branche viele neue Fachkräfte – und die sollten natürlich möglichst gut ausgebildet sein. Deshalb ist es für uns wichtig, dass Praktikant*innen nicht als Lückenfüller im Arbeitsalltag eingesetzt werden. Diese Gefahr sehe ich allerdings im Moment in unserem Beruf.
Ist die Lage auf dem Arbeitsmarkt bei den Erzieher*innen denn wirklich so schlimm?
Es werden immer mehr Kindertageseinrichtungen gegründet, aber die Ausbildung kommt nicht mit der Förderung von neuen Fachkräften hinterher. In unserer Kita haben wir aktuell das Glück, dass wir keine unbesetzten Stellen haben. Aber ich bekomme es in meinem beruflichen Umfeld mit, dass viele Kitas dringend gut ausgebildete Fachkräfte suchen und nicht finden.
Was sind die Auswirkungen auf die Praxis?
Zum einen, dass immer mehr Kinder von immer weniger Menschen betreut werden müssen, wir als Einrichtung aber auch einen Bildungsauftrag haben. Zum anderen – auch bezogen auf die Praxisanleitung – dass wir gute Konzepte und kompetente Fachkräfte brauchen, um Praktikant*innen ihrerseits zu gut ausgerüsteten Fachkräften auszubilden.
Welche besonderen Kompetenzen neben den pädagogischen braucht man als Kita-Fachkraft für die Praxisanleitung?
Da kann man sich am Ablauf eines Praktikums orientieren. Zunächst einmal geht es um die Erwartungen an uns und die*den Praktikant*in. Nach deren Ankunft muss man als Mitarbeitende Vertrauen aufbauen und Aufgaben abgeben können, damit die Praktikant*innen selbstständig arbeiten können.
Die meisten, die zu uns kommen, sind Erzieher*innen im Anerkennungsjahr. Sie sollten natürlich zum Ende des Praktikums Verantwortung übernehmen, weil sie schon bald eine eigene Gruppe leiten könnten. Wichtig für das Reflexionsgespräch und die Beurteilung ist die Einfühlsamkeit der Mitarbeitenden, damit beide Seiten ihre Zusammenarbeit noch verbessern können. Außerdem gibt es spezielles Fachwissen, zum Beispiel über den Datenschutz, das weitergegeben werden muss.
Im Anerkennungsjahr sind die Praktikant*innen weiter als jemand, der sich im Berufsfeld umschauen möchte.
Nichtsdestotrotz müssen sie in viele Dinge in der Praxis noch einmal tief eintauchen, zum Beispiel bei den Querschnittsaufgaben Partizipation, Inklusion, Wertevermittlung oder Sprachbildung. Durch die Praxis verstehen sie oft erst, wie wir die Theorie aus der Schule in der Kita umsetzen.
Welche Maßnahmen treffen Sie selbst in Ihrer Kindertageseinrichtung zur Praxisanleitung? Haben Sie selbst ein Konzept entwickelt, das Sie durchführen?
Wir haben uns vorab im Team darüber unterhalten, was wir von den Praktikant*innen erwarten. Um transparent zu sein, haben wir alles schriftlich festgehalten. Wir haben einen Willkommensbrief entwickelt, den jede und jeder an die Hand bekommt, der zu uns kommt. Außerdem gibt es einen Praktikant*innenordner, in dem Informationen über unsere Einrichtung stehen, aber auch Aufgaben, die von Anfang an bzw. im Laufe der Zeit erfüllt werden sollten, um gut vorbereitet in den Beruf gehen zu können.
Alle zwei, drei Monate treffen wir uns außerdem zu Reflexionsgesprächen – wie ist es bisher gelaufen? Läuft alles gut? Was können wir ändern? Braucht die*der Praktikant*in noch etwas von uns? So etwas besprechen wir dann, dokumentieren es und entwickeln gemeinsam Lösungen.
Zur Person
Andrea Boulhend leitet die Integrative Kindergemeinschaft Bochum e.V. und gibt Seminare bei der Paritätischen Akademie NRW, unter anderem zu den Themen Praxisanleitung und Leitungskräfte.
Wie wirkt es auf Praktikant*innen als zukünftige Fachkräfte, wenn eine Einrichtung so auf sie zugeht?
Das ist eine große Erleichterung für sie. Sie wissen erstmal nicht, was sie in der Kita erwartet. Es gibt viele Regeln, jede Einrichtung hat einen anderen Schwerpunkt und einen anderen Tagesablauf. Wenn die Praktikant*innen von uns vorab einige Infos bekommen, wissen sie zum Beispiel, dass es ein gemeinsames Frühstück gibt und dass generell bei uns vegetarisch gegessen wird. Dann können sie sich auf diese Dinge einstellen und kommen besser und schneller im Team an.
Haben Sie in Ihrer Einrichtung schon Praktikant*innen gehabt, die Sie danach fest angestellt haben?
Ja, das haben wir. Wir haben seit letztem Sommer einen Kollegen bei uns, der zuvor bei uns das Anerkennungsjahr absolviert hat.
Bedeutet es nicht einen großen Aufwand im eh schon vollen Alltag, ein solches Konzept zu entwickeln und vor allem umzusetzen?
Es gehört schon ein gewisser Zeitaufwand dazu. Deshalb würde ich – wenn Sie mich fragen – auch ein Zeitbudget für die Praxisanleitung in der eigenen Einrichtung einplanen.
Artikelfoto: © Fotolia lordn
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