Jeder Fall von Gewalt in der Kita ist einer zu viel. Wie es dazu kommt und wie man solche Taten verhindern kann, erforscht die Erziehungswissenschaftlerin Anke Elisabeth Ballmann. In unserem Interview fordert sie mehr Weiterbildung für Kita-Fachkräfte zu diesem Thema.
Anke Elisabeth Ballmann, Sie beschäftigen sich intensiv mit dem Thema Gewalt in der Kita. Was hat sie dazu bewogen?
Eigentlich sind meine Schwerpunkte frühkindliche Bildung und kindgerechte, positive Pädagogik. Aus diesem Grund war ich im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeiten in den vergangenen 20 Jahren in mehr als 700 Kitas. Fast überall habe ich subtile und emotionale Gewalt beobachtet, zuweilen offensichtliche, gelegentlich auch körperliche Übergriffe. Nach einigen Jahren wurde mir immer klarer, dass ich diese Missstände ansprechen will, weil Kinder das Recht auf eine gewaltfreie Kindheit haben und Fachkräfte oft nicht wissen und merken, dass sie gewaltvoll agieren. Ich denke, das müssen und können wir ändern.
Was bedeutet für Sie der Begriff “Seelenprügel”?
“Seelenprügel” ist für mich ein plakativer Begriff für emotionale und psychische Gewalt, der kristallklar aussagt, um was es geht. Ganz wichtig ist in dem Zusammenhang: Wenn Fachkräfte in Kitas absichtlich gewaltvoll agieren, handelt es sich dabei um wenige Fälle – aber jeder Fall ist zu viel und kann großen Schaden bei den Kindern und in den Teams anrichten. Die allermeisten Fachkräfte in den Kitas leisten auch unter den schwierigsten Umständen hervorragende Arbeit. Dennoch kommt es vor, dass Kinder vor allem emotionaler Gewalt ausgesetzt sind. Sie werden gedemütigt, angebrüllt und erpresst und ihnen wird das emotionale Echo verweigert, wenn sie nicht getröstet werden. Das alles fasse ich unter dem Begriff “Seelenprügel” zusammen.
Welche Ursachen hat Gewalt in der Kita?
Gewalt hat immer persönliche Gründe. Wir kennen die schwierigen Rahmenbedingungen, Personalmangel und Co., die im Kita-Alltag für Stress sorgen. Wenn Menschen Stress haben, wird die Zündschnur natürlich kürzer. Dennoch müssen wir aufpassen, dass wir nicht jedes Verhalten allein mit schlechten Bedingungen entschuldigen. Die Gründe liegen auch in der Ausbildung und in der Biographie der Fachkräfte. Als Fachkraft hat man immer mit zwei Kindern zu tun: Mit dem Kind, das vor einem steht, und mit dem “inneren Kind” in sich selbst. Wenn das eigene “innere Kind” noch verletzt ist, kann das Verhalten von Kindern, die vor einem stehen, beispielsweise die eigene Wut triggern. Menschen können aber durchaus lernen, ihre Gefühle zu steuern und von Fachkräften darf man das definitiv erwarten.
Wie kann Gewalt in der Kita verhindert werden?
Es ist ein wichtiger Schritt, dass es seit ungefähr einem Jahr in den Kitas Schutzkonzepte geben muss. Dadurch wird emotionale Gewalt in den Kitas thematisiert. Wichtig ist, dass das erarbeitete Konzept im Kita-Alltag gelebt wird. Die Teams brauchen viel mehr Zeit, um regelmäßig zu reflektieren. Dann können sie ihre Haltung zu entsprechenden Vorfällen weiterentwickeln, indem sie offen über Fehler sprechen. Gleichzeitig lernen Fachkräfte in Weiterbildungen, wie sie Kinder auch in herausfordernden Situationen noch empathisch begleiten können. Empathie und Selbstregulation von Erwachsenen verhindern emotionale und physische Gewalt gegenüber Kindern. Vor allem von Fachkräften sollten sie daher trainiert werden.
Sie benutzen den Begriff “positive Pädagogik”. Welche Merkmale hat diese Theorie?
Zunächst einmal, dass die pädagogischen Fachkräfte sich selbst kennen, mit sich selbst umgehen können und in der Lage sind, Selbstfürsorge zu leben. Ein großes Stichwort ist Resilienz, die nicht angeboren ist, sondern sich ein Leben lang entwickelt. Resilienz ist wichtig, weil Kinder von Vorbildern lernen und selbst Widerstandskraft aufbauen, wenn die Erwachsenen ihnen zeigen, wie man mit stressigen oder schlimmen Situationen umgehen kann. Ein resilienter Mensch wird mit einem Kind positiv sprechen und ihm klarmachen, dass es nicht darum geht, keinen Schmerz empfinden zu dürfen. Vielmehr wird aufgezeigt, dass alles wieder gut werden kann – und im Sinne von “kein Schaden ohne Nutzen” zu schauen, welches “Glück im Unglück” in der Situation gerade immerhin noch existiert. Positive Pädagogik als Haltung in der Kita bedeutet für mich außerdem, dass es eine Beschwerdekultur gibt und auch bereits die jüngsten Kinder ernst genommen werden.
Zur Person
Dr. Anke Elisabeth Ballmann ist Erziehungswissenschaftlerin. Seit 2007 arbeitet sie als Dozentin im eigenen Institut für kindgerechte Pädagogik – dem „Lernmeer“. Sie ist Lehrbeauftragte an der Friedrich-Alexander-Universität in Nürnberg und Gründerin der „Stiftung Gewaltfreie Kindheit“. Als Expertin für positive Pädagogik publiziert sie regelmäßig Fach-, Sach- und Hörbücher und schreibt für renommierte Fachzeitschriften. Im Rahmen der Impulsreihe “Zurück zum Kind” der Paritätischen Akademie NRW hält sie am 27. September einen Vortrag mit Austausch zum Thema “SeelenprügelFREI – Wege aus der psychischen Gewalt”.
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