Viele Frauen und Mädchen sind betroffen von digitaler Gewalt. Wie können Menschen, die in der Sozialen Arbeit aktiv sind, in einer Beratungssituation agieren? Frauenrechtlerin und Dozentin Jenny-Kerstin Bauer bietet Antworten an – in unserem Artikel und in ihren Seminaren.
Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um verschiedene Formen digitaler Gewalt. Um diese Formen in einem Beratungskontext zu benennen, werden Beispiele genannt. Falls dir dieses sensible Thema gerade Unbehagen bereitet, lies nicht weiter.
Digitale Gewalt gegen Frauen ist ein Sammelbegriff. Er steht für viele verschiedene Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die im Internet oder per Mobiltelefon ausgeübt wird. Bei digitaler Gewalt versucht die gewaltausübende Person, meist der Partner oder Ex-Partner, Macht und Kontrolle auf die betroffene Frau oder das Mädchen auszuüben. Ziel dieser Gewalt ist es, der Betroffenen Schaden zuzufügen und dadurch eine Abhängigkeit zum Mann herzustellen.
Welche sind die drei häufigsten Formen von digitaler Gewalt in (Ex)-Beziehungen? Und wie können Menschen, die in der sozialen Arbeit tätig sind, in Beratungssituationen reagieren? Jenny-Kerstin Bauer ist stellvertretende Geschäftsführerin des Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen. Für unser Blog erklärt sie, welche Formen es gibt, und wie Berater*innen betroffen Menschen in einer Beratungssituation unterstützen können.
Zur Person
Jenny-Kerstin Bauer ist Geschäftsführerin und Kommunikationsbeauftragte beim Netzwerk österreichischer Frauen- und Mädchenberatungsstellen und hat viele Jahre im Berlin beim bff (Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe) als wissenschaftliche Referentin gearbeitet. Sie gibt Seminare zum Thema „Digitale Gewalt gegen Frauen“ bei der Paritätischen Akademie NRW. Weitere Informationen zum Thema gibt es unter anderem beim bff (Frauen-gegen-Gewalt.de ; dort findet ihr auch Hilfsangebote für akute Situationen) und im Buch “Geschlechtsspezifische Gewalt in Zeiten der Digitalisierung”, dessen Mitherausgeberin Jenny-Kerstin Bauer ist.
Wichtig ist zunächst, dass die drei am häufigsten vorkommenden Formen nur ein kleiner Auszug von den vielseitigen Formen von digitaler Gewalt gegen Frauen sind. “Digitale Gewalt anzuwenden, hat sehr viele Ausprägungen und bewegt sich durch alle sozialen Milieus und Altersgruppen. Alle Formen von digitaler Gewalt haben direkte reale psychische oder auch physische Auswirkungen auf die Betroffenen. Das gilt besonders bei Partnerschaftsgewalt, in Trennungssituationen und bei Stalking”, sagt Jenny-Kerstin Bauer. Oft würden Betroffene in ihrem Umfeld nicht ernstgenommen – deshalb sei es wichtig für die Betroffenen, dass Berater*innen ihre Äußerungen glauben, und ihnen keine Mitschuld am Erlebten zu geben. Die betroffenen Frauen und Mädchen könnten anschließend über rechtliche Möglichkeiten und polizeiliche Interventionen aufgeklärt werden.
Das bewirkt gleichzeitig eine große Herausforderung für Berater*innen. Sie müssen mit neuen technischen Mitteln umgehen, die neue Formen von Gewalt hervorbringen, um in der Arbeit handlungsfähig zu sein. Eigene Unsicherheiten, wie die Gewalt mit neuer Technik angewendet wurde, können durch gezielte Fragen aufgelöst werden.
Drei Beispiele für digitale Gewalt an Frauen
- Stalking: Eine Frau oder ein Mädchen wird über die Sozialen Netzwerke oder Cloud-Dienste verfolgt. Der Täter hat heimlich sogenannte Stalkerware auf ihrem Smartphone installiert.
- Bildbasierte digitale Gewalt: Fotos oder Filme von Frauen oder Mädchen werden ohne ihre Zustimmung im Internet verbreitet und beispielsweise auf pornographischen Plattformen hochgeladen. Die Betroffenen werden mit diesem Material erpresst.
- Identitätsdiebstahl: Der Ex-Partner geht ohne Einverständnis der Frau mit ihrer Kreditkarte in einem Onlineshop sehr teure elektronische Geräte einkaufen und lässt sie auf den Kosten für die Geräte sitzen.
Wie kannst du als Berater*in auf digitale Gewalt reagieren?
- Den Aussagen der Betroffenen Glauben schenken – auch wenn sie noch nicht genau benennen können, ob es sich um digitale Gewalt handelt. Aktives, emphatisches Zuhören und die Betroffenen erzählen zu lassen ist für alle Berater*innen eine der wichtigsten ersten Maßnahmen. Innerhalb der Beratung ist es wichtig, die Betroffene zu stärken. Anschließend ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen, auch im Bezug auf den persönlichen Hintergrund der Person, um die Beratung erfolgreich fortzusetzen.
- Die technischen Bedingungen klären – wenn noch nicht bewusst ist, wer der Täter sein könnte: Wer hatte Zugang zu den technischen Geräten der Betroffenen? Wie können die Geräte vor weiterem Zugriff gesichert werden? Es ist außerdem wichtig, Beweise zu sichern. Chatnachrichten sollten zum Beispiel nicht gelöscht werden, damit diese später gegebenenfalls in juristischen Verfahren vorgelegt werden können.
- Über mögliche rechtliche und polizeiliche Schritte aufklären: Berater*innen thematisieren, dass durch weitere Schritte auch weitere Formen von Gewalt folgen können und über Hilfsangebote zu informieren. Es ist wichtig, dass die Situation des Opfers individuell gesehen wird. Die Betroffene entscheidet, welche nächsten Schritte sie gehen möchte; ob sie die Geräte sichern, rechtliche Schritte einleitet oder sich aus dem Netz zurückziehen möchte, ist ihr überlassen.
Artikelfoto: Canva
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