Mit einer leuchtenden, sprechenden Kugel gegen die Demenz: Aus eigenen Erfahrungen mit Großeltern haben drei junge Gründer das Startup ichó systems ins Leben gerufen. Das interaktive System soll Demenzkranken helfen, einen Teil ihrer Persönlichkeit zurückzuholen.
Steffen Preuß kennt die Auswirkungen von dementiellen Erkrankungen. Seine Großmutter war selbst davon betroffen: “Jeder, der sich mit dem Krankheitsbild beschäftigt, weiß, wie Menschen mit Demenz abbauen und wie sich ihre Persönlichkeit verändert”, sagt er. Früher sei seine Oma eine starke Persönlichkeit gewesen, die sich um die Familie gekümmert habe und sehr selbstständig war. Durch die Demenz kamen Unsicherheit, Orientierungslosigkeit und Angst in ihr Leben. Sie wohnte alleine und wollte nicht in ein Pflegeheim.
“Die Situation war sehr schwer zu ertragen. Wir wussten anfangs überhaupt nicht, wie wir damit umgehen sollten. Die Demenz hat unter anderem dazu geführt, dass wir Anrufe von der Polizei bekommen haben – meine Großmutter wollte vom Balkon klettern. Sie musste dann aus der Wohnung getragen werden. Letztlich ist sie dann doch in Betreuung gegangen”, erinnert sich Preuß, der seinerzeit an der Hochschule Düsseldorf studierte.
Die Kugel ist frei programmierbar
Beim Forschungsschwerpunkt “NutzerWelten” der Hochschule liefen sich die drei späteren Gründer von ichó Ende 2015 über den Weg. Ziel der Forschungen: Gestalterische und technische Lösungsansätze für Menschen mit Demenz zu entwickeln. Eleftherios Efthimiadis (31, Produktdesign), Steffen Preuß (28, Kommunikationsdesign) und Mario Kascholke (27, Elektrotechnik und Medieninformatik) hatten alle drei gemein, dass sie Großeltern mit Demenz hatten oder haben. Sie hatten ähnliche Erfahrungen gemacht und stellten im Hochschulprojekt fest: “Es gab viele Angebote für Menschen mit Demenz – aber für unsere Großeltern passte das oft nicht richtig. Das waren meistens Kinderspiele wie ‘Memory’ oder ‘Der heiße Draht’. Und auf altbekannte Kinderspiele hatten sie in der Regel keine Lust – auch wenn wir wirklich sagen können, dass die Pflegekräfte sehr engagiert waren”, sagt Steffen Preuß.
Das Startup ist ein Beispiel für gelungene Zusammenarbeit verschiedener Kompetenzen: Eleftherios Efthimiadis hatte irgendwann die Idee, eine interaktive Kugel zu gestalten. Mario Kascholke sah Verbesserungsmöglichkeiten in der technischen Umsetzung, Steffen Preuß erkannte ebenfalls das Potenzial und brachte seine Kenntnisse bei den kommunikativen Ansätzen gegenüber den Nutzer*innen ein. Daraus entstand ichó – ein interaktiver Ball, der alle äußeren Einflüsse erfassen kann, ob man ihn schüttelt, drückt, wirft oder gar schießt. Die Reaktion des stabilen Balls ist frei programmierbar: vom farbigen Leuchten per LED über das Abspielen von Musik oder anderen Klängen bis zum Vibrieren.
Aus diesem Grundkonzept heraus können verschiedene Anwendungen auf den Ball heruntergeladen werden. Das können relativ simple Erinnerungsspiele sein, aber auch komplexe Geschichten, die zum Beispiel Märchen nacherzählen. Ein Beispiel ist das Märchen vom Froschkönig, das erst weitererzählt wird, wenn die Kugel aus dem Brunnen gehoben wird – und sich dabei golden färbt. ichó sorgt für echte Aha-Effekte, die bei den betroffenen Menschen Erstaunen, Freude und Erinnerungen hervorrufen, ohne dass sie überfordert werden. Auch bei aggressivem, hysterischem oder herausforderndem Verhalten hilft der Ball, zu beruhigen.
Die Programme sollen zukünftig individuell herunterzuladen sein. Der Name kommt aus dem Griechischen, ichó bedeutet in der Muttersprache des Erfinders Eleftherios Efthimiadis “Echo” oder “Klang” – eine seiner frühesten Erinnerung an das Aufwachsen mit der Oma, die ihm das Echo in den Bergen erklärte. In der griechischen Mythologie ist Ichó ebenfalls eine Figur, die die Kraft der Kommunikation verloren hat. “Wir wollen Menschen diese Kraft zurückgeben”, sagt Steffen Preuß.

Die Gründer von ichó Systems: Steffen Preuß, Mario Kascholke und Eleftherios Efthimiadis. Foto: ichó systems
Die ersten, an denen das Gerät getestet wurde, waren – natürlich – die eigenen Großeltern. Steffen Preuß erinnert sich an einen der ersten Momente: “Meine Oma hat das Gerät in die Hand genommen, es berührt – und die Kugel spielte ein Lied von ihrem Lieblingssänger Roy Black ab. Auf einmal fing sie an zu schunkeln. Das hatte ich länger nicht gesehen, man konnte richtig erkennen, dass ein Stück ihrer Persönlichkeit zurückgekehrt war. Das hat nicht nur unheimlich Spaß gemacht, sondern mir persönlich auch viel Trost gegeben. Ich war anschließend sehr euphorisch.” Seine Kollegen berichteten ähnliche Eindrücke vom Test mit ihren Großeltern, so dass sie in der Folgezeit die ichó-Kugel weiterentwickelten und immer wieder ausprobierten.
Produktion noch in diesem Jahr ist das Ziel
Die Frage, ob die Kugel ein Studienprojekt bleiben oder mehr sein könnte, wurde schnell beantwortet: Das Feedback von Mitarbeitenden verschiedener Pflegeeinrichtungen und vor allem der Patient*innen sei extrem positiv gewesen, die Kugel habe also nicht nur bei den eigenen Großeltern, sondern auch bei fremden Menschen funktioniert. So fiel die Entscheidung, ichó auf den Markt bringen zu wollen. Das Unternehmen arbeitet mit einem Stipendium des Social Impact Lab von Duisburg aus.
Mit privaten Investitionen wurde ein Prototyp entwickelt, der in diesem Jahr in die Serienfertigung gebracht werden soll. Auch aus anderen Bereichen abseits der Alten- und Krankenpflege kommen laut Steffen Preuß bereits Anfragen, zum Beispiel aus den Themen- und Therapiefeldern Autismus, Lern- und geistige Behinderung oder soziale Entwicklung. Das Echo auf ichó ist also groß – und das Startup ist aktuell weiterhin auf der Suche nach Menschen – ob Patient*innen oder Einrichtungen – die den Ball testen, sobald er serienmäßig produziert wird. Interessenten können sich unter info@icho-system.de melden.
Forschung
Bei der Erforschung, wie das ichó-System auf die Nutzer*innen wirkt, arbeitet das junge Unternehmen eng mit dem Paritätischen Landesverband NRW und seinen Mitgliedsorganisationen zusammen, unter anderem über den Fachbereich Teil- und vollstationäre Pflege sowie die PariMobil in Tönisvorst. ichó kann zum Beispiel über längere Zeiträume messen, ob sich ein Tremor oder die Bewegungsfähigkeit bei Patient*innen verbessert oder verschlechtert. Das Unternehmen denkt auch an Formen maschinellen Lernens. Das heißt, dass die Programme sich aus den Messergebnissen selbst konfigurieren. So könnten sich zum Beispiel Schwierigkeitsgrade bestimmter Übungen automatisch an die Nutzer*innen anpassen.
Artikelfoto: © ichó systems
3 Kommentare
Ich finde eine solche Kugel ziemlich interessant. Das man darauf alle möglichen Spiele für die Erinnerung herunterladen kann ist vorteilhaft. Ich denke, dass dieses Tool ein nützliches Mittel sein könnte, um die Erinnerung spielerisch trainieren zu können. Vielen Dank für Ihren Beitrag zu der Kugel.
Was kostet dieser Ball?
Hallo, ichó kann man auf dieser Webseite vorbestellen: http://www.icho-systems.de/de/shop/icho-vorbestellen
Der Preis für die Vorbestellung wird dort mit 1428 Euro angegeben.