Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) ist Thema in Kitas, Schulen und offenem Ganztag. Wie pädagogische Fachkräfte die Kinder begeistern können, zeigt der Coach und Waldpädagoge Thorsten Schmitt: mit positiver Einstellung und Projekten, die ihre Neugier wecken.
Herr Schmitt, wie nehmen Kinder ihre Umwelt wahr?
Kinder sind Entdecker*innen und von Natur aus neugierig. Sie machen sich keine Gedanken darüber, was morgen, übermorgen oder in ein paar Jahren sein könnte. Sie leben im Hier und Jetzt. Ab zwei oder drei Jahren beginnt eine entscheidende Phase, in der sich moralische Grundlagen und Werte aufbauen. Kinder entwickeln einen hohen Sinn für Gerechtigkeit. Wenn Kinder im Wald unterwegs sind und einen abgesägten Baum sehen, wirkt das unmittelbar auf sie ein. Für Erwachsene ist klar, dass es Forstwirtschaft gibt. Die Kinder fragen hingegen, “ist das gerecht, dass dieser Baum gefällt wurde?” Pädagogische Fachkräfte haben hier einen Ansatzpunkt. Man kann die Verbindung herstellen zu Produkten im eigenen Haushalt, die aus Holz sind. Kinder nehmen das sehr ungefiltert und ehrlich auf.
Entdecken die Kinder von sich aus oder kann man sie auf Dinge aufmerksam machen?
Als Erwachsene haben wir häufig ein sehr erzieherisches Denken im Kopf, das mit Nützlichkeit verknüpft ist. Wenn man diese Hintergedanken weglässt, kann man Kinder sehr schnell begeistern. Wichtig ist, dass die Hinweise und Erklärungen unmittelbar in der Situation gegeben werden. Um beim Baum zu bleiben: Er ist ein Beispiel dafür, dass Umwelt gestaltet wird, indem aus dem Holz vor Ort eine Hütte oder eine Bank gebaut wird, oder indem man sich eine Figur schnitzt. Angst ist übrigens ein schlechter Ratgeber: Kinder möchten positive Dinge erleben und aktiv sein, sonst ziehen sie sich zurück.
Zur Person
Thorsten Schmitt ist Schulsozialarbeiter an einer Gesamtschule und zertifizierter Waldpädagoge sowie Trainer und Berater für die Themen Natur und Umwelt sowie Kommunikation und Teamentwicklung. Bei der Paritätischen Akademie NRW gibt er unter anderem Seminare zum Thema “Bildung für nachhaltige Entwicklung in der Kita”.
Verstehen die Kinder, dass sie die Umwelt in Zukunft nur gestalten können, wenn sie sie auch schützen?
Das ist der Schritt in den weiterführenden Schulen. Hier können Kinder über Gerechtigkeitsfragen sprechen und Zusammenhänge herstellen. In der Kita und in den Grundschulen ist es wichtig, dass sie gestalten können, Selbstwirksamkeit erfahren und die Natur einfach mal nur spüren, indem sie draußen sind. Sonst ist das Thema zu abstrakt. Wenn wir den Klimawandel als Beispiel nehmen: Dessen Auswirkungen sind selbst für Erwachsene sehr schwer zu verstehen.
Wie kann man auch in der Kita komplexe Zusammenhänge vermitteln?
Selbst in Alltagssituationen kann nachhaltiges Leben erklärt werden. Nehmen wir das Beispiel des Apfels. Zwei Kinder haben Äpfel zum Essen mitgebracht und tauschen sich darüber aus, über die Form und die Farbe. Sie stellen fest, dass es offensichtlich verschiedene Äpfel gibt. Hier entsteht ein Ausgangspunkt, um den Kindern Komplexes in kleinen Schritten zu verdeutlichen. Wie viele Sorten gibt es? Wo kommen die Äpfel her? Wachsen sie hinterm Haus oder werden sie transportiert? In dem Fall sind wir schnell beim Thema Verkehr. Ein Spaziergang auf den Markt, in den Supermarkt oder auf die Streuobstwiese weckt den Entdeckergeist und wirft weitere Fragen auf. Wie werden die Äpfel verarbeitet? Und welches Obst essen überhaupt Kinder in anderen Ländern? Das kann man mit Hilfe von Medien erklären. So können anhand eines kleinen Apfels vier Bereiche von BNE aufgegriffen werden: Ökologie, Ökonomie, Soziales und Kultur.
Wichtig ist es, die Kinder nicht von oben herab zu belehren, sondern sie auf ihrem Weg zu begleiten. Die Kunst der Erzieher*innen und Lehrer*innen ist es, einerseits situativ im richtigen Moment einzusteigen, und andererseits Projekte anzubieten, die die Kinder begeistern und mit denen sie durch Experimente selbst herausfinden können, was passiert – bei unserem Beispiel mit dem Apfel könnte man eine “Obstwoche” organisieren. Das eigene Erleben bleibt am Längsten hängen.
Wie können Fachkräfte die Eltern auf diesem Weg mitnehmen?
Hier gilt das gleiche wie bei den Kindern: Bloß nicht als moralische Instanz den Zeigefinger auszupacken, sondern einzubinden, zum Beispiel über Projekte, Informationen und Gespräche. Es ist deutlich wirkungsvoller, Nachhaltigkeit selbst ein Stück weit vorzuleben, als anderen etwas vorzuschreiben. Beim Thema Ernährung zum Beispiel, wenn man zuhause regionaler und saisonaler Küche auf den Tisch bringt, oder beim Upcycling, wenn aus Alltagsgegenständen oder „Müll“ wie altem Karton plötzlich ein toller Bastelspaß wird. Denn die Kinder tragen das, was sie in der Kita erleben, nach Hause und sprechen mit ihren Eltern über das Thema.
Sie haben gesagt, dass Kinder neugierig und interessiert daran sind, Dinge zu wissen. Wie kann man diese Neugier ins Erwachsenenalter herüberbringen?
Das ist eine spannende Frage. Schule greift das Thema auf und ich stelle fest, dass die Schüler*innen, mit denen ich zu tun habe, bereits sehr sensibilisiert sind für das Thema Nachhaltigkeit. Es ist wichtig, dass die Grundthemen Gerechtigkeit, Frieden und Nachhaltigkeit immer wieder neu aufgegriffen und altersgerecht spannend umgesetzt werden. Natürlich gibt es Lebensphasen, in denen pubertierende junge Menschen viele andere Dinge im Kopf haben. Da liegt es am Unterrichtsplan, dass die Schüler*innen Projekte erleben, die neugierig machen, ihre Selbstwirksamkeit zeigen und ihnen ohne Betroffenheit Lust machen, zu handeln. Damit sie selbst erfahren, dass sie getreu dem Motto “global denken, lokal handeln” mit dem, was sie machen, etwas bewirken können.
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)
Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) soll Menschen zu zukunftsfähigem Denken und Handeln anregen. BNE ist ein Teil der “Agenda 2030” der Vereinten Nationen, die 17 verschiedene Nachhaltigkeitsziele festgelegt haben, die bis 2030 erreicht werden sollen. Dazu gehören nicht nur klassische Umweltschutz-Themen, sondern auch soziale und kulturelle Ziele. Mehr Informationen findet ihr auf der Webseite der Deutschen UNESCO-Kommission sowie beim Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Artikelfoto: photophonie/Fotolia
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