In der psychosozialen Beratung sind Onlinemedien mehr als eine gute Alternative, um den Kontakt zu Nutzer*innen herzustellen oder fortzuführen. Helmut Kreller von der Deutschsprachigen Gesellschaft für psychosoziale Online-Beratung (DGOB) erklärt im Interview die Vorteile.
Herr Kreller, welche Formen der psychosozialen Beratung gibt es?
Wenn man nicht persönlich face-to-face berät, gibt es sechs Arten der medialen Beratung: per Mail, per Chat, per Messenger, per Onlineforum, per Telefon und per Videochat. Die älteste Form ist die Telefonberatung. Sie ist zugleich die einzige, die man aktuell datenschutzrechtlich ohne Probleme nutzen kann, da durch das Telekommunikationsgesetz das Fernmeldegeheimnis geschützt wird. Die Beratung per Messenger scheint in der Coronakrise aktuell keine größere Rolle zu spielen – die Videoberatung hingegen sehr viel mehr.
Welche Vorteile hat die mediale Beratung?
Online-Beratung ist zunächst einmal sehr niedrigschwellig. Menschen suchen sich Hilfe heutzutage als erstes im Netz und nicht mehr telefonisch. Die Nutzungszeiten sind für viele Menschen praktisch: Mail- oder Forenberatung ist 24 Stunden am Tag geöffnet, die*der Ratsuchende kann immer schreiben, wann sie*er will. Alles ist überregional erreichbar, es muss kein Weg mehr zurückgelegt werden. Ich habe die Wahl, ob ich schreiben, sprechen oder mich im Video zeigen möchte. Anonymität ist ein weiterer Vorteil: Es gibt Menschen, die können oder wollen sich nicht zeigen oder dürfen das Haus gar nicht verlassen. Man kann Online-Beratung sehr gut in die persönliche Lebenssituation integrieren – wenn ich viel unterwegs bin, muss ich nicht unbedingt in die Praxis kommen.
Was passiert bei der schriftlichen Beratung in Chats, Onlineforen oder per Mail?
Die Chatberatung ist ein sehr schneller Kontakt. Es wird abwechselnd geschrieben und kann leicht emotional werden. Nur gut ein Viertel der Informationen wird von den Chatpartnern aufgenommen. Es gibt Versuche, Gestik und Mimik durch Zeichen wie Emojis oder Akronyme zu ersetzen. Es bedarf einer guten Hermeneutik, um fehlende Gestik und Mimik durch ein gutes und gelerntes Lesen zu ersetzen. Im Endeffekt muss man mehrfach und mit “verschiedenen Brillen” lesen. Man kann sich (als einfachstes Modell) beispielsweise am Kommunikationsquadrat von Friedemann Schulz von Thun orientieren, der vier Ebenen beim Lesen eines Textes empfiehlt – was sind Daten und Fakten der Nachricht, wie zeigen sich Emotionen, was zeigt die Person von sich und was erwartet sie von mir? Schriftliche Beratung kann sehr viel Nähe erzeugen.
Bei der textbasierten und zeitversetzten (Mail-)Beratung zeigt sich außerdem, dass aufgrund der persönlichen Distanz häufiger scham- und angstbesetzte Themen angesprochen werden. Der wichtigste Punkt ist, dass ein*e Ratsuchende*r bereits während des Schreibens selbst am Problem arbeitet, alleine deshalb, weil Formulierungen gefunden werden müssen und die*der Schreibende immer wieder überprüft, ob das Geschriebene das Gemeinte ausdrückt. Man ist dabei auf sich selbst gestellt und reagiert nicht wie in einem Gespräch. Als Beratende*r bekommen Sie ein fertiges Produkt zugeschickt, das jemand bearbeitet hat, der sich auf das Problem fokussiert. Diese Fokussierung erreichen Sie manchmal erst nach mehreren Face-to-face-Sitzungen. Wenn Klient*innen eine Wartehaltung entwickeln, weil sie auf die Antwort der*des Beratenden warten, beschäftigen sie sich zudem weiterhin mit der Problematik und arbeiten – teils unterbewusst – an Lösungen.
Es werden immer häufiger Videochats genutzt. Was muss man dort beachten?
Bei der Videoberatung sollte man auf einen ruhigen Arbeitsplatz mit einem neutralen Hintergrund achten. Mit anderen Personen ist abzusprechen, dass man nicht gestört werden darf. Man braucht eine stabile, schnelle Internetverbindung und sollte mit der Software vertraut sein. Wenn man die Kamera leicht von oben einstellt, sieht man vorteilhafter aus. Der Desktop des Computers sollte aufgeräumt sein, da er manchmal während der Beratung geteilt werden kann, zum Beispiel wenn man ein Video zeigt.
Das Mikrofon sollte in einer Gruppenberatung ausgeschaltet sein, wenn man nicht spricht, um Rückkoppelungen zu vermeiden. Es ist nötig, dass man abspricht, was passiert, wenn die Verbindung abreißt – das ist vor allem wichtig bei einer Konfrontation, wenn plötzlich das Bild weg ist und man nicht weiß, ob die*der andere aufgelegt hat. Außerdem haben wir das sogenannte Eye-Contact-Dilemma – die Gesprächspartner*innen können einander nicht in die Augen schauen.
Zur Person
Helmut Kreller ist freiberuflicher Supervisor (DGSv) und Vorsitzender der Deutschsprachigen Gesellschaft für psychosoziale Online-Beratung (DGOB). Als Dozent ist er für die Paritätische Akademie NRW tätig und gibt dort unter anderem Online-Lernangebote zum Thema “Psychosoziale Onlineberatung”.
Sollte man sich anders vorbereiten als bei einem persönlichen Treffen?
Es gibt Dinge, die gleich sind. Bei der persönlichen Beratung ziehe ich mich ordentlich an, mache mich auf in die Praxis, einen begrenzten Raum, und sitze konzentriert am Arbeitsplatz. Man hat festgestellt, dass sich solche Rahmenbedingungen auch auf die Online-Beratung übertragen lassen. Man sollte die Beratung also keinesfalls abends auf dem Sofa durchführen.
Kann man Online-Beratungen auch in Konfliktsituationen durchführen?
Selbstverständlich funktioniert das auch in kritischen Situationen. Ich berate häufig strittige Teams in Supervisionen. Beim Gruppenchat beteiligen sich oft Leute, die sich im persönlichen Gespräch nicht äußern würden. Bei der Paartherapie kann man die Klient*innen in der Videoberatung räumlich trennen, indem jede*r aus einem anderen Raum teilnimmt.
Wie erkennt man, ob bei einer*einem Klient*in ein Rat auch tatsächlich angekommen ist – speziell bei schriftlicher Beratung?
Das erkenne ich daran, ob die*der Klient*in das Geschriebene aufnimmt oder ob sie*er Änderungen im eigenen Verhalten beschreibt. Außerdem ist es bei schriftlicher Beratung per Chat oder Mail wichtig, immer wieder Schleifen einzubauen und eventuell neu zu kontraktieren, woran man gemeinsam arbeiten will. Man versucht zu schauen ob man dort ist, wo man hin will, ob man auf einer Wellenlänge ist und es “matcht”. Das bekommt man auch auf schriftlichem Wege schnell mit. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Geschriebene immer wieder nachgelesen werden kann („schriftbasierte Nachhaltigkeit“), auch wenn nach Jahren eine erneute schwierige Situation vorkommen sollte.
Was sollten Berater*innen in Sachen Datenschutz beachten?
Da Berater*innen als Geheimnisträger*innen der Schweigepflicht unterliegen und gemäß der DSGVO Daten erheben, ist der Datenschutz eine der wichtigsten Aufgaben. Alles was per Mail, Chat oder Videochat passiert, sollte immer nur über verschlüsselte Portale laufen. Das kann man sich vorstellen wie einen von beiden Seiten begehbaren Container, in dem die Beratung stattfindet. Klient*innen erhalten ein Passwort und niemand bekommt mit, worüber gesprochen wird. Sogar wenn ich beispielsweise eine Anfrage über normale Mail bekomme, darf ich darauf nicht direkt zum Thema antworten, weil Mailprogramme nicht speziell geschützt sind.
Wie weiß ich als Berater*in, dass die Programme oder Portale, die ich nutze, verschlüsselt sind?
Wir haben von der Deutschsprachigen Gesellschaft für psychosoziale Online-Beratung ein FAQ erstellt, das einige Fragen beantwortet. Bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bekommt man eine Liste von vertrauenswürdigen Anbietern.
Müssen vor der Beratung Einverständniserklärungen oder ähnliches unterschrieben werden?
Ich arbeite nie ohne einen schriftlichen Vertrag. Darin ist im Unterschied zur Face to face-Beratung zum Beispiel auch geregelt, dass nicht nur ich mich zum Schweigen verpflichte, sondern dass der Beratungsverlauf auch von Klient*innen nicht veröffentlicht werden darf.
2 Kommentare
[…] Interview kann unter https://www.paritaetische-akademie-nrw.de/blog/online-beratung-als-schluessel/ nachgelesen […]
[…] ist Helmut Kreller von der Deutschen Gesellschaft für psychosoziale Onlineberatung (DGOB; hier geht es zu unserem Interview mit Helmut Kreller). Veranstalter: Institut für E-Beratung […]